Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 15. August 2005, Heft 17

Gesellschaftsspiel EuroJob

von Martha Reifarth

Im vergangenen Herbst, als die Politiker und ihre Bürokraten im Arbeitsministerium unter enormem Erfolgsdruck die »freiwilligen« Euro-Jobs erfanden, um die Arbeitslosen zu überrumpeln und zu befrieden, erreichte mich wie viele andere Arbeitslose eine dieser Zuweisungen der Arbeitsagentur. Ich sollte mich umgehend bei der bbw, einer in Berlin mit mehreren Filialen offenbar flächendeckend im Auftrag der Arbeitsagentur agierenden Akademie für betriebswirtschaftliche Weiterbildung, zu melden. Auf meine telefonische Anfrage bei der bbw, was mich denn erwarte, ließ mich die Assistentin wissen: »Wir müssen Sie irgendwo reinstecken.«
Meine Auskunft, ich sei promovierte Wissenschaftlerin, provozierte sie zu einem kleinen Aufschrei: »Schon wieder so was Höheres!« Ich also, voller Verständnis für die Not der bbw, machte mich auf den Weg zum »Coaching«, gespannt, wo man mich wohl reinstecken würde, aber durchaus auch willig, der bbw dabei behilflich zu sein.
Genaugenommen nahm ich die Sache selbst in die Hand. Wie dies die Gesellschaft von den Arbeitslosen schließlich auch erwarten kann. Ich gab der Projektleiterin zu verstehen, daß ich zwar erwerbslos, aber nicht arbeitslos sei, sondern – im eigenen Auftrag – an einem Buch arbeite. Sie griff danach wie nach einem Strohhalm und fragte mich, ob ich denn weiter an meinem Buch arbeiten und dafür freiwillig Einsfünfzig die Stunde von ihr bekommen wolle.
Dies wollte ich natürlich gerne! Welch paradiesische Aussicht, neun Monate lang selbstbestimmt und unbehelligt von womöglich anderweitigen Zumutungen zu arbeiten. Nur eine Bedingung mußte ich erfüllen. Ich sollte mir eine Institution suchen, mit der die bbw und ich eine Vereinbarung schließen und die mir Monat für Monat bescheinigen würde, daß ich tätig bin. Gegen die Unterschriften auf dem Anwesenheitsbogen würde ich dann meinen einen Euro und fünfzig Cent pro Stunde bar ausgezahlt bekommen.
Um eine solche Institution nun war ich nicht verlegen. Denn Institutionen kannte ich nach einem guten Jahrzehnt Leben mit ABM-Stellen schließlich genug. Und wie ich noch leicht ungläubig war angesichts der Wendung, die die Vorladung zur bbw für mich genommen, faßte die Projektleiterin zusammen: Alles, was ich unternähme, wäre ihr recht – wenn meine Tätigkeit nur gemeinnützig und zusätzlich, wenn sie sinnvoll und für mich befriedigend sei. Ja, und vor allem solle die Arbeit mir Spaß machen!
Über diese Aussicht einigermaßen perplex, fiel mir nur noch Peter Grottian von der Freien Universität Berlin ein, der seit Jahren gebetsmühlenartig seine Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wiederholt: Laßt die Arbeitslosen sich doch die Arbeit selber suchen! Sie sehen, wo was zu tun ist, und sie wissen selbst am besten, was sie können. Also bitte, so dachte ich, es geht doch!
Ich will nicht versäumen zu versichern, mein Tätigsein im Rahmen der »Arbeitsgelegenheit« ist absolut gesetzeskonform – gemeinnützig, zusätzlich, und es fördert und qualifiziert mich obendrein. Nur warum die bbw dafür vom Arbeitsamt fünfhundert Euro, wenn nicht mehr, kassiert, wovon sie mir wiederum 150 bis 190 Euro abgibt – das verstehe, wer will.
Und das eben ist der Skandal: Mit der Hartz-IV-Reform wurden die Job-Center aus dem Boden gestampft, also wieder eine neue Behörde, die einen Teil der ihr obliegenden Aufgaben wiederum an eine Beschäftigungsgesellschaft überträgt und ihr dafür eine üppige Prämie zahlt. Im Falle der bbw mit ihren diversen Geschäftsbereichen kommt dies letztlich der Subventionierung eines privaten Unternehmens gleich – während in der Öffentlichkeit die Klagen immer lauter werden, die Arbeitslosen kosteten zu viel Geld.
Derweil unterhalte ich mein Tätigsein ganz allein. Ich trage die Kosten für mein Buch, für PC und Papier und Druckertinte. Die bbw hat die Regiekosten für mich, das heißt, sie führt mich wie zig andere Euro-Jobber auf Auszahlungsbögen. Unsere Namen auf diesen Bögen übrigens werden Monat für Monat in einer anderen, immer wieder neuen Reihe aufgelistet. Damit soll wohl verschleiert werden, wie viele wir sind, an denen die bbw verdient. Und es soll uns wohl auch erschweren, Kontakt untereinander aufzunehmen und unseren Unmut auszutauschen.
Inzwischen ist meine Frist mit dem EuroJob abgelaufen, und die Arbeitslosenstatistik hat mich wieder aufgenommen. Von der bbw habe ich ein letztes Mal meine »Mehraufwandsentschädigung« auf die Hand bekommen, dazu eine Teilnahmebestätigung für Kommunikations- und Bewerbungstraining, EDV-Textverarbeitung, Excel für Anfänger und Fortgeschrittene, Englisch für Anfänger und Fortgeschrittene – eben alles, was das Hartz-IV-Gesetz zur Förderung von Arbeitslosen so vorschreibt und was die bbw so zu bieten hat.
Aber ob ich in Excel und in Englisch Anfängerin oder Fortgeschrittene war beziehungsweise bin, bleibt mein Geheimnis, denn ich habe von den Weiterbildungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Ich habe ja an meinem Buch gearbeitet, und die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Und zu gegebener Zeit werde ich wieder an dem Gesellschaftsspiel teilnehmen und mir einen EuroJob organisieren.