Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 24. Mai 2004, Heft 11

Neue Rechte, Neue Linke

von Judith Delheim, z.Z. Warschau

Zu Beginn seines Wirkens hatte Hitler ein wirklich gutes Programm … Er hat Deutschland tatsächlich auf die Beine gestellt. Er hat die Arbeitslosigkeit beseitigt, eine breite Arbeitsfront geschaffen usw. Ich weiß nicht, was dann mit ihm passiert ist, wer auf ihn einen solch großen Einfluß ausübte, daß er in Richtung Völkermord ging«, sagte im April 2004 der Vorsitzende der Samoobrona (Selbstverteidigung), Andrzej Lepper, der Zeitung Zycie Warszawy. In ihrem Interview fragte Patrycja Kolecka auch nach dem Wabern des Antisemitismus und nach der innerparteilichen Demokratie in der von Lepper beherrschten Samoobrona. Für den britischen Economist ist Samoobrona trotzdem eine »linkspopulistische Partei«, die in einer Reihe mit der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens zu sehen sei.
Zwanzig bis dreißig Prozent der polnischen Wähler unterstützen die Politik der Samoobrona, dessen Chef sowohl für spektakuläre Aktionen der Bauern gegen die herrschende Agrarpolitik sorgte als auch im Parlament einen Umgang einführte, der jegliche demokratische Spielregeln mißachtet. Er nannte Präsident Kwasniewski den »größten Faulpelz der Nation« – dafür bekam er eine Geldstrafe und zustimmendes Gelächter sowie Beifall. Das ehemalige Mitglied der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, der frühere Boxer und 60-Hektar-Landwirt hat seine Anhänger nicht allein unter frustrierten Bauern, die etwa 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sondern auch unter den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten. Vor allem sie ermöglichten es, daß in Warschau am 29. April während der globalisierungskritischen Demonstration gegen das Europäische Wirtschaftsforum massenhaft polnisch- und englischsprachige Flugblätter verteilt wurden, in denen recht gekonnt das Wesen der Samoobrona verschleiert wurde.
Die Äußerungen Leppers zu Hitler und dessen Lob für den »guten Strategen« Goebbels schlugen so hohe Wellen, daß der Samoobrona-Chef nicht umhin kam, sich zu entschuldigen, während sich die Teilnehmer am Alternativen Wirtschaftsforum in Warschau veranlaßt sahen, sich mit Antisemitismus und Populismus zu beschäftigen. Während Lepper neuen Raum in den Medien erhielt, offenbarte die Linke ihre Schwächen. Der Kampf gegen den Bodenverkauf an Ausländer, insbesondere an Deutsche, wurde dem Populisten überlassen. Vielen Linken fällt es schwer, Leppers Slogan »Moskau hat dich bestohlen; Warschau bestiehlt dich; Brüssel wird dich bestehlen« etwas entgegenzusetzen. Auch sie suchen oft nach einfachen Lösungen und verwechseln dabei populär mit populistisch.
Lepper ist Jahrgang 1954 und hat das Technikum für Landwirtschaft absolviert. 1992 gründete er die Gewerkschaft der Landwirte Samoobrona, die im Jahre 2001 mit zehn Prozent als Partei in das Parlament einzog. Drei Monate lang war Lepper Sejm-Marschall bis seine Entgleisungen zur Entbindung führten. Vierzig Prozent der Samoobrona-Abgeordneten haben der Partei unterdessen den Rücken gekehrt, aber deren gesellschaftlicher Einfluß ist gewachsen. Ihre Kandidaten zu den EP-Wahlen sind hochgebildet, sprachkundig, sie haben zumeist ein Praktikum im westlichen Ausland aufzuweisen. Leppers Experten arbeiten intensiv an Steuerreformen nach US-amerikanischem Vorbild und an Verfassungsänderungen. Kampf gegen Korruption, Einführung sozialer Mindeststandards, die Entwicklung des Bauwesens und der Landwirtschaft sowie die Förderung kleiner und mittlerer Betriebe sind die Schwerpunkte, für die konkrete Programme entwickelt werden. Die Autoren haben zumeist keine politische Vergangenheit, verfügen aber über akademische Titel. Unter den Samoobrona-Abgeordneten sind übrigens nicht wenige, die erklären, sich für soziale Belange, insbesondere für die Armen zu engagieren.
Das aber sagt die sogenannte Neue Linke, die in Lepper einen Faschisten sieht und sich selbst antikapitalistisch definiert, von sich auch. Beim Alternativgipfel bot sie Veranstaltungen zu sozialen Themen an, konzentrierte sich aber eher auf Forderungen als auf die Arbeit an Alternativen. Auch ihre Mitglieder neigen zur Vereinfachung. Widersprüche, mit denen sie nicht klarkommen, werden mit kämpferischen Losungen und Kommentaren beiseitegeschoben.
Diese Tendenz zeigte sich auch in der anarchistischen Diskussion zum Antisemitismus: Keineswegs wollte man antisemitisch sein, setzte aber Judentum und Israel gleich. Die Staatgründung Israels wurde entschuldigt, und die palästinensischen Selbstmord-Attentate wurden als antisemitisch verurteilt. Kam man gar nicht mehr weiter, hieß es: Das System und seine Spielregeln wirken sowohl gegen die unschuldigen palästinensischen als auch gegen die unschuldigen israelischen-jüdischen Kinder. Bei der Demonstration konnte man die israelische und palästinensische Fahne miteinander verknotet sehen.
Dennoch: Die Veranstaltungen und die Warschauer Großdemonstration vom 29. April lassen die Hoffnung keimen, daß sich in Osteuropa eine andere Art Gegenkultur entwickelt, als sie bei der Neuen Linken in Westeuropa üblich ist: Statt rüder Umgangsformen ist man hier höflich zueinander und hört sich gegenseitig zu, man verhält sich aufmerksam und nachdenklich und ist außerdem auch noch ausdrücklich an Kontakten zu den Nachbarn – nicht zuletzt zu Menschen in den Nachfolgestaaten der UdSSR – interessiert. Und – unter den Westeuropäern schier aus der Mode gekommen – gilt es als selbstverständlich, daß man den Müll in die dafür vorgesehenen Behälter wirft.