27. Jahrgang | Nummer 20 | 23. September 2024

Anarchie – Schleimkeim

von Thomas Behlert

Es muss so Anfang der 1980er Jahre gewesen sein, ich wollte die Musikleidenschaft ändern, denn die Bluesmusiker, denen ich bisher hinterher reiste, waren fett geworden, im Westen als Taxifahrer unterwegs oder einfach nur langweilig.

Auf zum Punk und ich landete bei einer Mugge mit Schleimkeim. Es raste und torkelte Otze, der im wirklichen Leben mal Dieter Ehrlich hieß, über die Bühne und schrie seinen Hass auf den Staat und die Liebe zu gar nichts hinaus zu der wild um sich schlagenden Fangemeinde in die zugedröhnten (Spee, Faustan und Vita Cola) Köpfe.

Noch zuvor lag genau dieser Mensch vor dem Partyhaus auf dem Rasen, völlig betrunken und schlief seinen Rausch aus. Doch plötzlich schnippte er hoch, griff nach dem Instrument, stürmte die Bühne und ab ging das Chaos. Alles klang neu, eindringlich, anarchistisch und die Texte vermittelten den „No Future“-Zustand. Wahnsinn!!! „Faustrecht, Faustrecht, hier regiert das Faustrecht. Sie machen mit dir was sie wollen, sie machen mit dir was sie wollen. Mit dem Arsch aus der Koje holen, mit dem Arsch“ Oder auch: „Wir wollen nicht mehr, wie ihr wollt / Wir wollen unsere Freiheit / Wir sind das Volk, wir sind die Macht / Wir fordern Gerechtigkeit.“

Nach diesem Schlüsselerlebnis verabschiedete ich mich endgültig vom Blues, ließ mir die Haare schneiden und zog ein verwegenes T-Shirt mit Löchern, Sicherheitsnadeln und selbst ausgedachten Sprüchen an. Es ging mir gar nicht so um die Sache selbst, sondern vielmehr um die Musik, um die Freiheit, um die verrückten Mädels und um die verschärften Getränke. Im Laufe der Zeit sah ich in Abrisshallen, in großen Wohnungen, in Kirchen und heruntergekommenen Dorfkneipen alles was nach Punk roch. Mit dabei: Schleimkeim aus Stotternheim nahe Gotha im Thüringer Land.

Nach zwei Jahren war es mit dem Punk vorbei, ich bekam die Einberufung, ging feige zur „Fahne“ (NVA) und verlor dieses eigenartige Gebilde ohne Zukunft aus den Augen, konzentrierte mich später auf Studium, Arbeit, schließlich Wende und Familie. Von Otze hörte man nach 1990 nur noch wenig. Es erschienen erste offizielle Aufnahmen („Abfallprodukte der Gesellschaft“, „Mach dich doch selbst kaputt“, „Drecksau“, „Geldschein“) und er hing immer mehr an der Droge und erschlug schließlich seinen Alten, der nach der Einweisung des Sohnes in die geschlossene Anstalt alle Sachen auf den Müll geschmissen hatte. Zuvor war bereits die Mutter von Otze gestorben, die ihm bisher Halt gegeben, und für alle Besucher riesige Thüringer Klöße gekocht hatte.

Gestorben ist der einzige wahre Punk des Ostens elendig in einer Psychiatrie.

Nach einigen Büchern, die sich mit Otzes Leben und dem Punk in der DDR beschäftigen und einem Comic, in dem die Texte illustriert werden, kam nun sogar eine DVD auf den kapitalistischen Markt: „Schleimkeim – Otze und die DDR von unten“. Regisseur Jan Heck gräbt für den Film verdammt tief in der Geschichte des DDR-Punks, einer Musikrichtung, die es offiziell gar nicht gab. Punk prangerte nämlich den Staat an, schmiss nur so mit Hasstexten um sich und die als Asoziale bezeichneten Protagonisten bewegten sich zwischen Verrat, Ekstase, Zerstörung, Willkür und Tod. Subversive Künstler wurden als inoffizielle Mitarbeiter geführt, so auch Otze, der sich unter dem Decknamen Richard mit Mitarbeitern einer Polizeiabteilung traf. Schnell trat er aus dem Pakt aus, zumal die Polizei erkannte, dass er unzuverlässig ist und nur Dekonstpiration betreibt.

Im Film gibt es viele interessante Geschichten, aber leider keine Interviews mit Otze. Aussagekräftige Fotos und ein Konzertmitschnitt, der voller Energie, ruppiger Musik und rauer Texte ist, zeigt Schleimkeims-Bezug zum Heute. Der Spruch stimmt immer noch: „Punk is not dead!“. Heck arbeitet das Leben von O.T.Z.E. auf. Übrigens ein Name (ordentlich, treu, zuverlässig, ehrlich), den er sich selbst gegeben hatte.

Die Weggefährten Lippe, Hagen, Abse, Speiche und Geralf kommen zu Wort. Die Anfänge werden erwähnt, als man die Instrumente selbst baute und in der Scheune geprobt und gesoffen wurde. Zur Sprache kommt, dass Alexander Anderson als „Sascha“ Schleimkeim ans Messer lieferte, als im Westen ein Sampler mit Andersons Band Zwitschermaschine und Schleimkeim erschien. Verhaftung und Verhöre folgten. Otze war gebrochen, die Saufgelage uferten aus und die Wirklichkeit kam ihm abhanden.

Insgesamt ist der Film eine aussagekräftige Dokumentation, die Teile des „Ost-Punks“ darstellt und als persönliche Zeitreise der Weggefährten gilt. Der in Tübingen geborene Jan Heck läßt die Interviewpartner in Erinnerungen schwelgen und präsentiert trotzdem ein Porträt der damaligen Zeit. Komisch ist allerdings der Coveraufdruck: „Bedrohung, belastende Themen“.

Schleimkeim – Otze und die DDR von unten, Good! Movies, 96 min, ca. 17 Euro.