20. Jahrgang | Nummer 25 | 4. Dezember 2017

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Diesmal Dauerschachspieler im Kampf ums Affentheater, ein Nashorn, gezüchtet von Peter Hacks sowie Bronchien-Brüller ohne Schallschutz…

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Zunächst wollte Brecht mit Benjamin nichts zu tun haben, der ihn anschwärmte und über Dritte heftig um Kontakt bat. Schließlich kam es im November 1924 durch Vermittlung einer Freundin doch zur Begegnung in Berlin. Im Salon der Pension Voß in der Wilmersdorfer Meierottostraße trafen Brecht und Benjamin erstmals aufeinander. Doch das Gespräch stockte. Man hatte sich erstaunlicherweise nicht wirklich was zu sagen. Trotzdem, beide beobachten sich; jahrelang. Vor allem Benjamin beäugt Brecht. Erst 1929 kommen sie wieder zusammen. Und da muss der Knoten gerissen sein. Benjamin spricht von „sehr freundschaftlichen Beziehungen“. Und Brecht spürte das „begründete Interesse“, dass der Kollege an seinen Plänen hat. Es keimte eine Männerfreundschaft (Ruth Berlau: „Brecht hatte ihn ungeheuer gern, sie spielten ja immer Schach.“). Es wuchs eine einzigartige intellektuelle Partnerschaft mit gemeinsamen Projekten – etwa eine „Typologie des Wohnens“ und sogar eine leider nie veröffentlichte Krimireihe „Mord im Fahrstuhlschacht“. Benjamin sagte: „Kritik ist die richtige Haltung der Intelligenz.“ Und Brecht: „Ich bin für die ledigliche Produktion von Intellekt.“
Das war in etwa die gemeinsame Linie der allein schon äußerlich ziemlich gegensätzlichen Köpfe: der eher sanguinische Wuschelkopf Benjamin; der asketische Brecht mit dem kahlen Schädel. Schon Zeitgenossen nannten das Diskurs-Duo produktiv, asymmetrisch, katastrophal. Walter Benjamin (1892–1940) und Bertolt Brecht (1898–1956) – was für eine außergewöhnliche, konfliktgeladene Konstellation, was in der Natur der Sache liegt: der Kritiker und der Dichter, Theoretiker und Künstler, Metaphysiker und Rationalist.
„Unter Brechts Einfluss treibt Benjamin nur dumme Dinge“, lästerte Adorno. Siegfried Kracauer gesteht: „Über Benjamins sklavisch-masochistische Haltung Brecht gegenüber“ habe er sich sehr gefetzt mit Benjamin. Elisabeth Hauptmann im Rückblick: „Die gegenseitige Einwirkung, sonderlich auf Brechts Theorie, die war enorm. Benjamin als Partner für Brecht war mit das Beste, was es gab.“
Erstaunlicherweise widmet sich erstmals erst jetzt eine Ausstellung der Berliner Akademie der Künste dem Thema B.&B. Die zu ihr gehörenden, übrigens meistbesuchten beiden Archive Brecht und Benjamin gestalteten unter Leitung ihres Direktors Erdmut Wizisla die sensationelle Schau „Brecht und Benjamin. Denken in Extremen“. Sie spiegelt einen geistigen Kosmos im Jahrhundert der Extreme, dokumentiert das Echo von Freunden und Feinden dieser Beziehung, deren Widersprüche die beiden aushielten weil sie genau wussten, was sie aneinander haben. Der eine hielt sich, so Hannah Arendt, für den größten lebenden deutschen Dichter, der andere für den bedeutendsten Kritiker seiner Zeit.
Die Ausstellung illustriert auf teils amüsante, aber auch oft anrührende Art die menschliche Nähe der beiden großen Dauerschachspieler (am Brett bis zur gegenseitigen Ermattung). Und sie dachten, wie Benjamin schrieb, in Extremen, was ihnen „Weite und Freiheit im Denken ermöglichte“. Weil man „Dinge, die als unvereinbar gelten, nebeneinander bewegen kann“. Längst sind die Namen B. und B. zu Chiffren geworden, stehen für Modelle für die Kunst und für die Betrachtung der Welt – die Stereo-Schau macht es auf kluge Art anschaulich: Ein dialogisch gesetzter Zitaten-Wald auf Texttafeln, Tonaufnahmen, Memorabilien, Fotos, Theaterdokumente, Reflexionen gegenwärtiger Künstler wie die Fortschreibung vom „Mord im Fahrstuhl“ als düstere Graphic Novel durch den Holzschnitt-Artisten Steffen Thiemann.
Eine spezielle Preziose ist der ungedruckte Artikel „Was ist das epische Theater?“ fürs Feuilleton der Frankfurter Zeitung. Benjamin schrieb ihn quasi als Rezension über Brechts „Mann ist Mann“ im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt; Regie: Autor, Premiere: 6. Februar 1931. Die Inszenierung entfachte eine Debatte übers Brecht-Theater (statt Einfühlung Verfremdung durch theatrale Versuchsanordnung). Benjamin feierte in seinem Text die neue Theorie vom epischen Theater. Doch Bernhard Diebold, der Frankfurter Theaterredakteur, hielt alles für „Affentheater“. Und schmiss kurz vor Drucklegung den bereits ins Layout gespiegelten Essay von der Seite. Erhalten geblieben ist der so genannte Bürstenabzug, versehen mit Benjamins spitzen Randbemerkungen. Eine Schlacht der Ansichten; jetzt gerahmt unter Glas. – Und doch, bei all den nervenzerfetzenden Kontroversen um selige Übereinstimmung über unseligen Abgründen: Künstler Brecht blieb stets der irritierende Ironiker; Motto: „Ganz ernst ist es mir nicht.“

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Prima Mischung: Die kleine freche Henriette hat mehr Phantasie, ihr rüstiger Onkel Titus hingegen mehr Verstand, aber „jeder hat genug von beidem“, meint Peter Hacks, der das tolle Team abenteuerlichste Sachen erleben lässt. Da schlüpft eine rosasilbergrüne Nixe aus der Brause, als Henriette den Hahn aufdreht zum Duschen. Onkel Titus hingegen baut eine simple Nähmaschine einfach mal schnell um zur Denkmaschine, die, pädagogisch höchst inkorrekt, für seine Nichte die Schularbeiten macht. Und im Stadtpark fangen beide mit einer Kürbisfalle einen Affen, der sprechen kann. Dann bringt Henriette ihren Freund, den Tagedieb, dazu, einen Sonntag zu stehlen. Weil: Es ist just der Tag, an dem der Onkel seine Nachbarin heiraten will – passt der eifersüchtigen Göre so gar nicht…
Nichts sei verwirrender als das normale, alltägliche Leben, weiß Onkel Titus. Das hat ihm Peter Hacks gesagt, der Dramatiker, Lyriker, Essayist, der quasi nebenher die betörendsten Kinderbücher schrieb; unter anderem „Der Bär auf dem Försterball“, „Jules Ratte“ „Prinz Telemach und sein Lehrer Mentor“ – wofür er den Deutschen Jugendliteraturpreis bekam. Seinen „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“ (gedruckt im 11. Band der Werkausgabe, Eulenspiegel Verlag) kann man jetzt eine reichliche Stunde lang lauschen. Ist doch noch mal ganz was anderes als Lesen: Die große Berliner Schauspielerin Carmen-Maja Antoni und ihre Tochter Jennipher Antoni haben die zwischen Traum und Wirklichkeit segelnden Märchengeschichten eingesprochen auf einer CD. Dazwischen gibt es köstliche Gedichte wie das vom Ritter Kauz von Rabensee, der mit seiner Blechrüstung nicht klar kommt, oder das Lied vom musikalischen Nashorn, das eine Löwenherde zum Orchester macht; hierzu passend mein Hinweis auf den wunderbaren, von Klaus Ensikat so witzig wie kunstvoll illustrierten Peter-Hacks-Gedichtband „Der Flohmarkt“, auch bei Eulenspiegel, für 14,99 Euro. – Man sollte gar nicht erst warten bis Geschenke-Weihnachten. Denn: Wer da auch nur kurz mal rein hört oder liest, will sie sofort haben und nicht mehr lassen, diese Herrlichkeiten.

CD-Hörbuch Peter Hacks „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“, Eulenspiegel Verlag, 12,99 Euro; auch als MP3 erhältlich.

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Immer im süßesten Piano, immer in dramatischsten Atemanhalt-Pausen, immer erschreckend, ungeniert, peinlich: Also ist es auch an dieser Stelle wieder dringendst geboten, den hemmungslos wild Draufloshustern im Theater gehörig die Leviten zu lesen. – In zurückhaltender Vornehmheit tut dies übrigens die Sächsische Staatsoper, indem sie im Eingangs-Foyer vom Semperbau Schalen aufstellt, reichlich gefüllt mit Ricola-Bonbons. Die Sorte Honig-Alpensalbei, eine milde Mischung. Wirkt höchstens prophylaktisch. Aber womöglich als pädagogisches Signal: Infizierte, bitte präparieren!
Ich verstehe ja, wer seit langem schon ein Billet auf Lager hat, der will die Show nicht ausfallen lassen und kommt, auch wenn eine Erkältung heftig dazwischen niest. Doch er weiß ja ganz genau, wie gut die Chancen stehen, ein nervender, ganze Szenen brutal zerstörender Krachmacher zu werden. Deshalb mein erzieherischer Imperativ: Er soll sich vor Beginn der Veranstaltung entsprechend präparieren: Dickes Taschentuch als Schalldämpfer, Lutscher (möglichst stärkere als die bei Sempers, Salbe, Pillen, alles fein griffbereit im Dunkel. – Da muss man nicht erst nach (!) der ersten Bronchien-Attacke in sämtlichen Taschen nervös kramen.
Die allgemeine Praxis aber ist: Erst gellendes Heraushusten ohne jeden Schallschutz, dann ächzendes Suchen nach welcher Art Medizin auch immer, womöglich gar in Damenhandtaschen mit Reißverschluss (Langsames Ratz- auf! Langsames Ratz-zu!). Und schließlich gemächliches Auswickeln vom knisternden Zellophan (Tabletten in Plastik machen besonders wirksam Krach); da fallen raschelnde Papiertaschentücher geradezu als Leisetreter ab; wie rücksichtsvoll. – Und da kommt doch einer des Wegs und sagt: Alles Quatsch! Die Schauspieler, die sind dazu da, die Leute vom Husten abzuhalten. Irgendwie hat er ja recht. Oder?