20. Jahrgang | Nummer 16 | 31. Juli 2017

Gulbransson und der Simpl

von Renate Hoffmann

Eine Zeichnung, die Spitz- und Scherznamen des Norwegers und ein Buch machten mich aufmerksam. – Da liegt ein Wesen in praller Sonne im Gras, unbekleidet, die Knie angezogen, die kräftigen Arme ausgebreitet, vom Gesicht sind nur zwei Nasenlöcher zu sehen und ein Strichmund. Ausdruck eines unbändigen Wohlgefühls, in schwungvoller Linie hingeworfen. Weil er aus dem Norden kam, von bärenhafter Statur und eigensinnig und naturverbunden war, nannten sie ihn den „Nordischen Troll“, „Eskimo“, „Wikinger“ und „Seehund“. Aber ebenso den „Titan der Zeichenkunst“. Dieses Kompliment stand ihm zu.
In den Erinnerungen schildert Olaf Gulbransson (1873–1958) den Urknall seiner Neigung: „Das Zeichnen hatte ich schon mit 4 gelernt. Ein anderer mit 6 zeigte es mir. Er ärgerte sich so darüber, dass ich es besser konnte, dass er nie mehr zeichnete, ich dagegen seitdem immer.“ Diese Erinnerungen, in zwei Teilen niedergeschrieben und gezeichnet, sind eine Köstlichkeit an gescheiten Gedanken, Humor, Erzählkunst und zugleich die Preisgabe einer burschikosen wie auch sehr sensiblen Künstlerseele. Gerhart Hauptmanns Meinung zu dem Buch: „Eine unvergängliche Quelle der Heiterkeit … was für ein großer geistiger und künstlerischer Genuß.“ („Es war einmal“ und die Fortsetzung „Und so weiter“, Piper Verlag, 2013.)
Die Aufzeichnungen liegen im Druck in Gulbranssons Handschrift vor. Ein zusätzliches Vergnügen. Der Norweger kannte, als er nach Deutschland kam, kein Wort der fremden Sprache und schrieb und redete zeitlebens etwas sperrig. Außerdem setzten ihn die unbekannte Orthografie, Groß- und Kleinschreibung und die damals geübte „Deutsche Schrift“ in Verlegenheit. Olaf löste die Probleme genial. Er schrieb seine Texte sämtlich in lateinischen Großbuchstaben und großzügiger Rechtschreibung. – Auf einem Schild am Grundstück in Tegernsee bat er die Spaziergänger: „Liebe Leut! Traet mich nicht auf meine Gänseblumen!!! Sonst duften sie nicht mer von Honig. Erst wen ich gemäht hab, da dürft ihr wieder traeten.“
Der Karikaturist, Grafiker und Maler Leonard Olaf Gulbransson stammt aus Christiania (später Oslo). Er besucht am Geburtsort die Königliche Kunst- und Handwerksschule und zeichnet bereits während dieser Zeit Karikaturen für norwegische Satireblätter. Erste Heirat mit Inga Liggen (der noch zwei weitere Ehen folgen). 1899 Ausstellung seiner Arbeiten in Christiania. Zu weiteren Studien reist er nach Paris. Dann kommt das Wendejahr 1902. Von ihm gezeichnet und berichtet: Ein hohes Gerüst, unten Wasser, oben Olaf: „Ich stand grade oben auf dem Turm von Bygdönes Bad um einen Kopfsprung zu machen, als einer von unten rief, es wäre ein Telegramm für mich da. Es war von Albert Langen und lautete: ‚Wenn sie gewillt sind in München zu bleiben biete ich ihnen ein monatliches Fixum an’. […] Ich dachte: ich riskiere nichts, ich mache eine schöne Reise und werde natürlich nachher wieder heimgeschickt.“ Der Hintergrund: Albert Langen, Gründer der satirischen Zeitschrift Simplicissimus, hatte die Tochter des norwegischen Dichters Björnstjerne Björnson zur Frau, besuchte seinen Schwiegervater auf dessen Landsitz Aulestadt – und die Verbindung war hergestellt. Gulbransson wurde nicht heimgeschickt. In München begann seine rasant steigende Kariere.
Nach Tegernsee am Tegernsee in Oberbayern am nördlichen Alpenrand. Und zum Olaf-Gulbransson-Museum im Kurgarten. Hier begegnet man ihm, eingebunden in den Kreis seiner Simplicissimus-Kollegen und in die Dokumentation dieser hochrangigen Zeitschrift, die sich trotz aller Fährnisse bis zum Jahre 1944 behauptete, und zu der Gulbransson an die 2400 Zeichnungen beisteuerte. Wer den Namen des Blattes erdachte, sei unbekannt, heißt es – andererseits, Maximilian Harden (Herausgeber der Zeitschrift Jugend) habe ihn eingebracht. Wer das Wahrzeichen – die rote Bulldogge mit der zerrissenen Kette – gestaltete, das ist bekannt: Thomas Theodor Heine (1867–1948), der gemeinsam mit Olaf Gulbransson den kritischen Simpl zeichnerisch entscheidend prägte.
Als am 1. April 1896 die erste Ausgabe der Illustrierten Wochenschrift Simplicissimus, Kaufpreis 10 Pfennige, erscheint, lautet der Grundsatz: „Nicht Schwert, noch Helm und Lanze / will ich tragen, / mit heißen Worten nur / will ich euch schlagen.“ – Manchmal aber werden Ton und Bild zu heiß. Das Blatt zeigt sich höchst streitbar, ja gefährlich. Man wirft ihm Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung und Verletzung der öffentlichen Moral vor. Redakteure müssen zeitweilig einsitzen.
Ich gehe durch die brisanten Jahre des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik, vom Simpl aufgegriffen und herausgestellt mit bissigen Titelbildern, Zeichnungen und Texten. Albert Langen hatte eine Künstler- und Literatenschar versammelt, die den Simplicissimus zu Ruhm und Ansehen brachte. Für ihn schrieben neben anderen: Karl Kraus, Hermann Hesse, Frank Wedekind, Heinrich und Thomas Mann, Peter Altenberg und Ludwig Thoma, seit 1900 Chefredakteur der Zeitschrift.
In Abbildungen und Charakteristiken werden die Maler und Grafiker vorgestellt. Unter ihnen Ferdinand von Reznicek aus Wien (1868–1909) und seine „delikate Erotik“. Th. Th. Heine, brillanter Zeichner, Zyniker und der Unbequemste in der Redaktion. Wilhelm Schulz (1865–1952), der einfühlsame Romantiker inmitten scharfer Satire. Gulbransson meinte: „Unser Schulz ist für den ‚Simpl‘ eigentlich zu schade.“
Und O.G.? Sein rundes verschmitztes Gesicht schaut von vielen Fotografien. Er hat sich in München und dem bayrischen Umland gut eingelebt. („Ich nehme ja Norwegen mit, wo ich bin.“) Sein Freundes- und Bekanntenkreis weitet sich. Der Kontaktfreudige pflegt ihn mit Briefen und Begegnungen. Man schätzt Gulbransson als treffsicheren Porträtisten, der das Wesentliche seiner Modelle erfasst und auch nichts verschweigt. („Ein Gesicht, das sich nicht karikieren lässt, widert mich an. Das kommt daher, daß es überhaupt keinen Ausdruck hat.“) Thomas Mann lässt sich von ihm zeichnen und Frank Wedekind, Knut Hamsun, Gerhart Hauptmann und Richard Strauß und Eleonore Duse und Max Halbe, Annette Kolb, Ernst Rowohlt und andere Berühmtheiten aus Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Sie alle zeigen sich zufrieden mit ihrem Konterfei. Bis auf den Komiker Karl Valentin, der hatte zu nörgeln.
Gulbransson als Buchillustrator, Plakatkünstler, Bühnenausstatter. Ausstellungen folgen und Ehrungen. Er pendelt zwischen München und Berlin. Dort befreundet er sich mit Max Liebermann, der ihm die Professur an der Berliner Akademie der Künste anträgt. O.G. lehnt ab mit der Begründung: man könne in Münchens Umgebung besser Skilaufen als im Tiergarten. Dann aber nimmt er im Jahr 1929 das Angebot einer Professur an der Akademie der Bildenden Künste in München an.
Zur selben Zeit kauft er am Tegernsee ein altes Anwesen, den Scherer-Hof. In der schönen Berglandschaft, häufig besucht von Künstlern, Sommerfrischlern und der Simpl-Clique fühlt er sich glücklich. Der Tegernsee ist sein Fjord. („ich bin wie ein Gorilla seelig, oben in einem alten Bauernhof 1000 hoch.“) Olaf Gulbransson und seine dritte Ehefrau Dagny Björnson, Enkelin des norwegischen Nationaldichters, finden hier ihre willkommene Bleibe.
Ernst Rowohlt schreibt zu Olafs achtzigstem Geburtstag: „ […] oft und oft sehe ich uns beide im Schererhof zusammensitzen und habe dann immer das Gefühl, wir wären schon in einer anderen Welt, dem Erdenleben mit seiner Unrast … weit und lächelnd entrückt!“