20. Jahrgang | Nummer 13 | 19. Juni 2017

„Die Wahrheit über Donald Trump“

von Gabriele Muthesius

Gewinnen zu lernen ist unheimlich wichtig.
Nur wenige Menschen verstehen
sich darauf zu gewinnen.
Sehr wenige.

Wenn Hillary Clinton ihren Ehemann
nicht befriedigen kann,
wie kommt sie dann auf die Idee,
sie könnte Amerika zufriedenstellen?

Donald Trump

Als Donald Trump vor wenigen Wochen seine ersten hundert Tage im Amt absolviert hatte, waren bei ihm laut Washington Post bereits 492 Mal falsche oder irreführende Aussagen gezählt worden. Und SPIEGEL-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer resümierte: „Trump ist ein hundertfach überführter Lügner, Rassist, Betrüger.“ Und forderte: „Trump muss aus dem Weißen Haus entfernt werden. […] Er ist eine Gefahr für die Welt.“
Wer Trumps Wahlkampf verfolgt hatte, dürfte darob kaum verwundert gewesen sein, und Pulitzer-Preisträger Michael D’Antonio schon gar nicht, denn er ist der Verfasser einer voluminösen, minutiös recherchierte Biographie des derzeitigen US-Präsidenten, deren deutsche Ausgabe beim Econ Verlag bereits in mehreren Auflagen erschienen ist.
Schon in der Einleitung fasst D’Antonio zusammen, was er später im Detail ausbreitet und belegt – wie Trump so wurde, wie man ihn zumindest in den USA seit Jahrzehnten kennt, und dass er weitgehend ein Produkt der amerikanischen Gesellschaft ist, also eher keine singuläre Entgleisung individueller menschlicher Entwicklungsmöglichkeiten: „An jeder Weggabelung sah der junge Trump […], dass jeder, der bereit war, altmodische Vorstellungen von Recht und Anstand zu missachten, sich bereichern konnte. In seinem New York der Siebzigerjahre gewährten Zeitungskolumnisten ihre Gunst gegen gewisse Gefälligkeiten, Gangster genossen eine Prominenz, die mit derjenigen von Sport-Stars vergleichbar war, und Werte wie Treue und Redlichkeit waren Relikte der Vergangenheit. Seine Welt war eine vergoldete Gosse, in der er zu der Überzeugung gelangte, dass der Mensch im Wesentlichen eine käufliche Kreatur ist. Je gieriger und egozentrischer er sich zeigte, desto mehr Menschen schien das zu gefallen. Er hatte jemanden angeheuert, um ein Buch zu schreiben, gerierte sich daraufhin als Schriftsteller, und das Buch wurde zu einem Bestseller. In aller Öffentlichkeit betrog er seine erste Frau, und im darauffolgenden Skandal wurden seine Kinder mit Spott und Verachtung überzogen. Seine Firmen machten vier massive Insolvenzen durch, und er scheiterte mit unzähligen Unternehmungen. Und zahllosen Klagen, Zeitungsreportagen und persönlichen Berichten zufolge haben er und seine Unternehmen Tausende von Investoren, Konsumenten und Unbeteiligte zu Opfern gemacht.“
Den Präsidentschaftskandidaten von 2016 charakterisierte D’Antonio als einen Menschen, „der keine Ideale kennt und der sich außer seinem Machtwillen kaum etwas verpflichtet fühlt. Ohne ein solides Fundament aus Mitgefühl und Ethos zu besitzen, macht er sich rassistischen Hass zunutze, ergeht sich in Frauenfeindlichkeit und ermutigt stillschweigend gewalttätiges Verhalten.“ Trump sei damit „der vollendete Ausdruck bestimmter Aspekte des amerikanischen Geistes des 21. Jahrhunderts“.
Zur Ausprägung eines solchen Charakter-Cocktails bei Trump haben weitere Faktoren beigetragen, denen D’Antonio auf den Grund geht.
Da war zuerst ein häusliches Umfeld, in dem der Vater dominierte – ein windiger Geschäftsmann in Immobilen – „genau dieser Typ […], der direkt aus einem Buch über politische Korruption […] stammen könnte“ und der seine Söhne „für ein Leben des harten Konkurrenzkampes“ trimmte, und zwar in einer „ungewöhnliche(n) Kombination aus strenger Disziplin, Luxus und Überlegenheitsgefühl“. Trump Junior wurde dadurch auf eine Weise geformt, die ihn bereits auf der Grundschule als verhaltensauffällig – als „so etwas wie der Albtraum“ – in Erscheinung treten ließ. Dem war bald selbst auch der Vater nicht mehr gewachsen. Der steckte den 13-Jährigen daraufhin in eine Kadettenanstalt.
Dort war sein Ausbilder ein Kriegsveteran der US Army, den man sich D’Antonios Beschreibungen zufolge wohl vorstellen muss wie den legendären Gunnery Sergeant Hartman, den Prototyp des US-Militärschleifers in Kubricks „Full Metal Jacket“. (Zum Filmausschnitt hier klicken, ab Minute 1:15.) Der drillte eigenem Bekunden zufolge seinen Zöglingen ein, „dass Gewinnen nicht das Wichtigste ist, sondern das Einzige“.
Einen weiteren für ihn fundamentalen Stempel erhielt Trump in jungen Jahren durch Reverend Norman Vincent Peale, dessen Bestseller „The Power of Positive Thinking“ von 1952 sich in den USA mehrere Millionen Mal verkaufte und dessen „Botschaft […] man im Grunde auf die These reduzieren (konnte), dass man mit Selbstvertrauen und Visualisierung so gut wie jedes Hindernis überwinden könne“. Für Trump wurde diese psychologische Ideologie zur lebenslangen Leitlinie, „zu einer wahren Gewohnheit des Herzens“, was ihn seine „Projekte und Kreationen“ jeweils als die besten und großartigsten überhaupt erscheinen und verkaufen ließ und lässt. D’Antonio liefert zum Beleg dafür zahllose Beispiele aus allen zentralen Lebens- und Geschäftsbereichen des Donald Trump. In diesem Kontext könnte Brinkbäumers eingangs zitierte Aufzählung „… Lügner, Rassist, Betrüger“ ohne weiteres noch um Hochstapler und mit Größenwahn Geschlagener ergänzt werden.
Nachdem so entscheidende Grundlagen für seine Charakterbildung gelegt waren, trat Trump über die väterliche Firma ins Geschäftsleben ein. D’Antonio zeichnet die nachfolgenden Jahrzehnte akribisch nach, und als Trump bereits fast 60 Jahre alt war, lautete das Fazit mit den Worten des Finanzexperten David Pauly von Bloomberg News: „Alles, was Trump […] jemandem über Management beibringen kann, wenn wir einmal die Trump-Hotels als Maßstab nehmen, ist Folgendes: Verkaufe mehr Anleihen, als du jemals zurückkaufen könntest, überlasse der Konkurrenz das Geschäft und genieße dein Leben als Vorstandsvorsitzender – und dann treibe die Firma in den Ruin.“ Da Trump jedoch in erster und auch in zweiter Linie immer mit dem Geld anderer Leute ins Risiko ging, hielten sich seine Verluste zumindest soweit in Grenzen, dass er es auf diese Weise zum Milliardär brachte. D’Antonio bescheinigt ihm denn auch zu recht „Bankrott als Finanzmasche“.
Dass Trump sich selbst die Eignung zum US-Präsidenten vor allem deshalb zuspricht, weil er als Geschäftsmann so überaus erfolgreich war und ist, lässt für den Rest seiner Amtszeit noch einiges erwarten.
Und Trost Spendendes gibt es gar nichts zu vermelden? Vielleicht zumindest dieses: Schon im Jahre 1987 hatte Trump die Voraussage einer „Expertin für Politik“ erreicht, „dass Sie als Sieger hervorgehen werden, wann auch immer Sie für das Präsidentenamt kandidieren werden“. Die „Expertin“ war die Gattin von Ex-Präsident Richard Nixon, und sie hat Recht behalten. Trump seinerseits hat mit der Kandidatur aber wenigstens noch 29 Jahre gewartet …

Michael D’Antonio: Die Wahrheit über Donald Trump, Econ Verlag, Berlin 2016, 543 Seiten, 24,00 Euro.