18. Jahrgang | Sonderausgabe | 9. Januar 2015

Tuchos „Schnipsel“, eine (sehr) kleine Auswahl

Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.

Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit: Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten.

Der Apparat soll nicht herrschen. Der Apparat soll dienen.

Ernste Arbeit, das ist in Deutschland ein Pleonasmus, denn frohe Arbeit scheint es dortselbst nicht zu geben.

Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: wer die Butter hat, wird frech.

„Vorbestraft“ und „Ausländer „sind für viele Polizeibüros Synonyme

Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal.

Leben ist aussuchen, Und man suche sich das aus, was einem erreichbar und adäquat ist, und an allem andern gehe man vorüber.

Man stürmt heute keine Bastillen mehr. Das äußerlich greifbare Symbol ist seltener geworden, und man muß schon ein bißchen künstlich nachhelfen, wenn man einer modernen revolutionären Bewegung zu Gedenktagen verhelfen will. Die Unterdrücker sitzen nicht mehr in einem einzigen Palast der Stadt, die zu stürmen wäre, Banken stehen an jeder Ecke, selten gerinnen Reaktion, Nutznießertum und die Pest der Unterdrückung zu einem Mann, zu einem Haus, zu einer Fahne. Das Leben spielt sich heute auf dem Papier ab, in Telefondrähten, an der Börse. Schwer, das zu stürmen und den Sturm kenntlich zu machen.

Die Deutschen brauchen immer einen, der daran schuld ist.

Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.

Wir Deutschen sind ein merkwürdiges Volk.

Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.

Die menschliche Dummheit ist international.

Früher kamen die Ereignisse in die Zeitung; heute werden die Ereignisse von der Zeitung ereignet.

Man sollte gar nicht glauben, wie gut man auch ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann.

Jede Glorifizierung eines Menschen, der im Krieg getötet worden ist, bedeutet drei Tote im nächsten Krieg.

Schade, daß es nicht im Himmel einen Schalter gibt, bei dem man sich erkundigen kann, wie es unten nun wirklich gewesen ist.

Es ist ein bekannter Fluch des Kapitalismus, die Bedürfnisse der Welt nach den wirtschaftlichen Forderungen der Liefernden zu regeln.

Ein skeptischer Katholik ist mir lieber als ein gläubiger Atheist.

„Der Krieg“, hat einmal ein sterbender französischer Offizier gesagt, „ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn den Militärs anvertrauen könnte“.

Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.

Nichts verächtlicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen.

Das schauerlichste Wort, das uns der marxistische Slang beschert hat, ist das Wort von der „richtigen“ Politik. Sie wissen es ganz genau.

Es ist die Aufgabe des historischen Materialismus, zu zeigen, wie alles kommen muß – und wenn es nicht so kommt, zu zeigen, warum es nicht so kommen konnte.

Der Militarismus ist eine Geistesverfassung. Oder vielmehr: das Geistesmanko.

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eigenen, weil sie die eigenen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus.

Politische Satire steht immer in Opposition.

Wie rasch altern doch die Leute in der SPD! Wenn sie dreißig sind, sind sie vierzig, wenn sie vierzig sind, sind sie fünfzig, und im Handumdrehen ist der Realpolitiker fertig.

Sage mir, worauf du stolz bist und ich sage dir, was du mir kannst.

Ich muß sagen, daß ich ein kräftiges Mißtrauen gegen die Unzahl von Weltverbesserern habe, die kosmische Gebäude umstürzen wollen und nicht fähig sind, einen Brief zu frankieren.

Ausführlich fündig wird man im Rowohlt-Taschenbuch „Kurt Tucholsky, Schnipsel. Erweiterte Ausgabe“, Reinbek 1995.