16. Jahrgang | Nummer 12 | 10. Juni 2013

Meine Demonstrationen: Blockupy by me

von Eckhard Mieder

Anfang der Neunziger Jahre geriet ich vor dem Berliner Roten Rathaus in eine Demonstration, die mir vor allem der martialisch gekleideten und taktisch postierten Polizisten wegen in Erinnerung geblieben ist. In ihren Rüstungen sah jeder (und jede; ach, wie ich mich noch wundern konnte über Frauen im Gewande der Gewalt) aus wie eine Mischung aus Roboter und Teletubby.
Vom Bahnhof Alexanderplatz daherschlendernd, dachte ich voller Bange, welcher Staatsfeind würde hier in die Schranken gewiesen werden müssen. Es waren ein paar Dutzend Lehrer und Lehrerinnen, die gewerkschaftlich brav und mit ordentlich gearbeiteten Abwink-Elementen für Ich-weiß-nicht-mehr-Was oder Ich-weiß-nicht-mehr-gegen-Was auftraten.
Mittlerweile bin ich um einige Demos erfahrungsreicher. Wenngleich ich mich, gemessen an den Westdeutschen, die ihre derzeitige Demokratie allesamt hartnäckig und nachdrücklich in Straßenkämpfen, Sitzblockaden und Massendemonstrationen verteidigt, ja erst erreicht haben, noch immer ausnehme wie der Schulknabe mit der Stullentasche vorm Bauch. Mir fehlt noch einiges an der Daseinsberechtigung als perfekter Deutscher.
Und nun ein paar Infos (wie wir Debattiermaschinisten liebevoll sagen) über meine vorläufig letzte Demo-Erfahrung:
Erster Juni, Blockupy rief!
Ich konnte dem Ruf erst zum frühen Nachmittag folgen, weil ich Prioritäten setzen musste. Nämlich fand am selben Tag die alljährliche Gartenbegehung mit anschließender Versammlung vor dem Vereinslokal statt.
Ein Emil Pelle wie ich hat durchaus ein Empfinden für das rebellische Potenzial eines Gartens. Und eine Versammlung unter Gartenfreunden ist durchaus ein Kampfplatz für den stets zu verteidigenden Frieden in Grün.
Diesmal trat wieder einer auf, der unbedingt Strom legen lassen wollte. Wogegen sich die Mehrheit auf der vorjährigen Jahreshauptversammlung, dem Plenum aller Mitglieder und des demokratisch gewählten Vorstanden, ausgesprochen hatte. Die Mehrheit will weder Elektrizität noch Sowjetmacht.
Es gibt seit Jahren immer wieder einen, der lautstark das Wort für den elektrischen Strom führt. Damit die elektrischen Rasenkantenstecher, Rasenmäher und Rasenventilierer, die Laubbläser, Ästezerhäcksler und Graswurzelkapper eingesetzt werden können. Damit Fernsehgeräte übers Gelände schallen und kleine Karusselle sich quietschend drehen.
Der in diesem Jahr auftrat, war besonders laut und aggressiv. Er war gewissermaßen der Vorgeschmack auf die elektrischen Zeiten, falls die doch noch kommen. Kräfteverhältnisse ändern sich, die einst das Unmögliche wollten, siegen eines Tages. Ich fürchte, der wird seinen Lärm kriegen. Kommt der Strom, gehe ich, nach mir das Unkraut!
Ich bin abgeschwoffen.
Ich fuhr, von der Versammlung gut angeregt, in die Stadt.
Wo war die Demo grad?
Frankfurt am Main ist dermaßen auf Demonstrationen trainiert, dass das nahezu reibungslose Nebeneinander von Wut und Konsum funktioniert. Da schwappen die Touristen vom Römer an der Paulskirche vorbei in die Zeil. Da brummt der Erzeugermarkt an der Konstablerwache. Da können einen halben Kilometer weiter Pfefferspray und Farbbeutel durch die Luft wirbeln. Protest und Hedonismus in Koexistenz.
Ich geriet in die Neue Mainzer Straße, und da war Schluss. Ich sah die weißen Helme einiger Reihen Polizisten, zwischen denen leerer Raum, bis eine Reihe von Polizisten mit schwarzen Helmen kam. Vor der versammelten sich die Nachzügler, irgendwie Zuspätgekommenen. Oder sie waren Vorläufer der Demonstration, denen der Kontakt durch die Polizeisperre abgeschnitten worden war. Hier sollte zudem die Abschlusskundgebung stattfinden.
Die weißen Helme hatten wie ich später erfuhr, den Demonstrationszug wenige Minuten nach Beginn gestoppt. Eine Hundertschaft war in die Menge geprescht, sie gespalten und hatte einen Kessel gebildet, in dem etwa 1.000 Demonstranten steckten. Als ich eintraf, standen die schon seit drei Stunden. Ich stand außerhalb und wäre auch gar nicht rein gekommen, selbst wenn ich gewollt hätte.
Eine Durchsage der Polizei verortete mich und die anderen in einem „illegalen Raum“, der ebenfalls gleich zum Kessel werden würde, wenn wir nicht 150 Meter zurückwichen. Dorthin, wo die Stacheldrahtbarriere vor der Europäischen Zentralbank aufgebaut war und zwei Wasserwerfer sich langweilten.
Jemand rief, man müsse jetzt ein Plenum abhalten, um zu einer Entscheidung zu kommen. Fügten wir uns der Ansage oder sollten wir bleiben.
Eine Reihe Polizisten schob sich inzwischen („Schämt euch, schämt euch!“) seitlich an dem losen Haufen vorbei. Gegen passiven Widerstand („Ihr seid wir, ihr seid wir!“).
Ein Seitenschauplatz der Hauptdemonstration. Bis sich aus einer Straße Dutzende Mercedes-Transporter heran schoben, Stoßstange an Stoßstange, und eine nächste Linie Polizisten trieb diejenigen, die im „legalen Raum“ verblieben waren, vor sich her.
„Sollte hier nicht die Kundgebung stattfinden?“ fragte ich einen, der vermummt war bis an die Nasenspitze. Im Übrigen sah ich weder Bühne noch Tribüne, nicht ein Podestlein fein, nicht eine Lautsprecherbox, alles so Dinge, die mir vonnöten schienen für die Installation einer ordentlichen Kundgebung.
Der schwarze Kamerad antwortete: „Es findet eine Maßnahme der Polizei statt.“
„Das war nicht meine Frage. Darf ich wiederholen? Sollte hier nicht die Abschlusskundgebung stattfinden?“
„Hier findet eine Maßnahme der Polizei statt.“
„Ich weiß, wir befinden uns nicht in einem Märchen. Ich hatte noch nie drei Wünsche frei im Leben. Aber sollte nicht hier …“
„Räumen Sie den Platz! Es findet eine Maßnahme der Polizei statt.“
Was brauche ich Kabarett, was brauche ich Comedian, was brauche ich Politiker zum Lachen? Die Polizei führt eine Maßnahme durch, um eine Maßnahme durchzuführen. Mehr an Begründung braucht sie nicht. Sind wir im Einsatz oder zum Quatschen da?!
Ich wich zurück bis zu einer Straßenecke, die den architektonischen Abschluss der Polizeikette bildet. Sie hatte jetzt zwischen sich und ihren dicht an dicht aufgefahrenen Transportern einen nächsten leeren Raum geschaffen. Einen Raum, in dem nur die Polizisten heimisch sind, wo sie machen können, was sie machen dürfen. Wie zuhause aufm Sofa, im Hobbykeller oder im örtlichen Swingerklub, mal bildhaft gemeint für Orte, an denen es privatissimo zugeht.
Die armen Kerle und Kerlinnen übrigens. Sie sind nicht zu beneiden. Sie wüssten am ersten Juni, dem Internationalen Kindertag, gewiss auch Angenehmeres zu machen. Vielleicht eine Gartenbegehung mit anschließender Vereinsversammlung?
Zweimal sah ich welche, die stolperten, als sie losrennen mussten, über die eigenen Füße. Sie lagen wie Käfer auf dem Rücken. Wie schwer ist so eine Rüstung? Kommt er wieder hoch? fragte ich mich. Einen Polizisten zu fragen, traute ich mich nicht. Vermutlich sind die beiden Gestürzten unter der polizeiinternen Bilanz als „verletzte Polizisten“ aufgeführt.
Aber Spaß beiseite. Es ist ein – grausames Spiel:
Dass die Verantwortlichen eines Polizeieinsatzes sich darüber beschweren, dass ein Polizist verletzt wird, und dies zum Anlass nehmen, verstärkt Gewalt anzuwenden –, das ist als empörte sich ein Fisch darüber, dass er im Wasser leben muss, und vor Wut beginnt er, das Wasser auszupeitschen.
Dass sich noch während der Demonstration (und erst recht danach) herumsprach, die Polizei habe ein falsches Spiel gespielt, nämlich die Kessel geplant, kann wahr oder falsch sein.
Dass die Sprecher der Polizei lügen, wenn sie von einem verletzten Demonstranten sprechen, ist gewiss.
Dass der hessische Innenminister lügt, wenn er davon spricht, er sei gar nicht informiert gewesen, und es sei allein Angelegenheit der Polizei – ich frage mich, wann höhere Dienstgrade der Polizei die Schnauze voll haben davon, ihre vorgesetzten Politiker zu decken und die Verantwortung (und die Gegenwehr der Demonstranten) auf sich zu ziehen. Zumal der eine oder andere vielleicht auch die Schnauze einfach nur voll hat vom Kapitalismus. Folgend der ursprünglichsten Erklärung, die ich von einem Blockupy-Aktivisten in ein Mikrofon sprechen hörte: „Mich nervt der Kapitalismus!“
Aber vermutlich denke ich zu menschlich von Polizeioffizieren.
Dass Witz, Buntheit, Lust und Clownerie gegen die Macht funktioniert – hat es das jemals gegeben?
Von der Polizei lernen, heißt siegen lernen. Wenn für sie (respektive ihre politische Führung, respektive die Landesregierung respektive die Bundesregierung?) Gewalt durchaus eine Lösung ist, warum sollte sie für zukünftige Demonstranten nicht auch eine Lösung sein?
Gewaltlosigkeit gegen Gewalt ist Narretei; leider ist Gewalt denn doch auch keine Lösung. Das war schon zu Zeiten so, als es noch fischereske Kloppereien gab. Gesiegt haben die Straßenfighter der späten Sechziger, Anfang Siebziger erst, als sie nach einem langen Marsch durch die Institutionen da angekommen waren, wo ihre einstigen Gegner inzwischen ausrangiert waren. Und dann wurde das Leben für die Fighter von einest doch ein Boni-Hof.
Diesen langen Marsch wird es für die heutigen Jungen unter den Demonstranten nicht geben.
Man kann den Verantwortlichen im Hessischen Innenministerium alles Mögliche nicht nachsagen, eines ganz gewiss doch: Sie haben einen Beitrag zur Radikalisierung geleistet; ich hörte junge Menschen, die mittendrin gewesen waren, wütend fragen: „Was können wir gegen die Schweine machen?“