16. Jahrgang | Nummer 12 | 10. Juni 2013

Bemerkungen

Willi Sitte – kein Nachruf

Heute ist der 9. Juni 2013. Vor wenigen Stunden starb in Halle der Maler und Grafiker Willi Sitte. Er wurde 92 Jahre alt. Und zur Stunde werden mit großer Sicherheit mehrere Dutzend Finger blutig getippt, um lange Nachrufe zu verfassen, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eher Nachwürfe werden. So nach dem Tenor: Er war ein großer Künstler, aber … Das ABER wird überwiegen. Man wird Sitte das Überlaufen zu den Kommunisten vorwerfen. Man wird den Präsidenten des Verbandes der bildenden Künstler der DDR als finsteren und machtlüsternen Apparatschik geißeln. Man wird ihm vorwerfen, Mitglied des Zentralkomitees der SED gewesen zu sein. Mancher wird versuchen, die „Stasi-Keule“ (so hat Sitte selbst einmal eine bestimmte Qualität von Attacken auf ihn bezeichnet) zu schwingen. Vor allem aber wird in diesen Elaboraten Willi Sittes Weigerung, „vierzig Jahre gemeinsam gelebte Geschichte“ – auf diese Formel brachte er es in seiner von Gisela Schirmer aufgeschriebenen Autobiografie – auf den Müllhaufen zu werfen, gegeißelt werden: „Es genügte nicht, daß ich betonte, immer für den untergegangenen Staat gewesen zu sein, und wenn man diesen Staat nun zum Verbrecherstaat erkläre, dann sei ich eben auch ein Verbrecher gewesen. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt…“ Das wird ihm wenig nutzen. Halbwahrheiten, Lüge und Hass finden immer offene Ohren. Seinen Freunden, zu denen wir uns zählen, wird das egal sein. Das Werk zählt, dazu gehört auch ein kulturpolitisches Wirken, ohne dass die Künste in der DDR weder ihre Kreativität noch ihre Weltgeltung in diesem Maße hätten erreichen können.
Willi Sitte war ein großer Künstler. Ohne Wenn und Aber. Sein Werk steht. Es wird auch noch in Jahrzehnten, wenn so manche Erzkritiker dieses hallenser Bilderwütigen nur noch in dicken Speziallexika auffindbar sein werden, die Betrachter erfreuen und aufregen und auch im Streit über die Bilder und ihren Schöpfer anregend sein.
Wir verneigen uns vor ihm.

Wolfgang Brauer

Pizza Hawk

Thomas de Maizière wegen des finanziellen Drohnen-Desasters zu verunglimpfen, ist ein gefundenes Fressen für seine politischen Gegner und die jener Regierung, der er angehört. Als umso entlastender darf gewertet werden, dass der Minister sich edel zur Schuld seines Hauses bekennt. Denn er könnte auch anders. Zum Beispiel darauf verweisen, dass die inkriminierte Drohne ihr ganzes Geld auch deshalb wert ist, da sie über Einsatzmöglichkeiten verfügt, die nicht nur zivil sind sondern auch das Dienstleistungsangebot unserer Gesellschaft für nahezu jedermann auf das schönste erweitern würde. Worüber de Maiziere also nobel schweigt, weil man über noch nicht ganz gelegte Eier hat schweigt, hat Großbritannien dieser Tage unverhohlen vorgeführt – und Deutschland damit die Schau gestohlen. Dort nämlich ist mit Erfolg der Einsatz einer achtrotorigen Drohne als Pizzalieferant erprobt worden. Der Octocopter bringt lautlos und staufrei ins Haus, wofür bislang Vespas oder gar PKWs knatternd die Luft verpestet haben.
Stellt man in Rechnung, dass wir Deutschen jährlich 800 Millionen Pizzen verzehren und unterstellt man, dass davon nur ein Drittel per Haustürservice angeliefert wird, so würde es sich um rund 270 Millionen handeln. Allein dafür hätte sich die halbe Euromilliarde doch wohl gelohnt. Zumal die Drohne, so sie denn vom friedfertigen Deutschland doch mal zu militärischen Zwecken eingesetzt werden sollte, nicht nur Pizzen transportieren könnte, was ein echter Mehrwert wäre.

Helge Jürgs

Blätter aktuell

Korruption ist in der Kommunistischen Partei Chinas allgegenwärtig und untergräbt die Autorität der herrschenden Führungsriege. Peter Kwong, Professor für Asian American Studies am Hunter College in New York City, sieht das Ein-Parteien-System zunehmend in der Defensive. Kommt die KP den zunehmenden Forderungen nach politischen Reformen nicht nach, droht ihr das Auseinanderbrechen – und China in Anarchie zu versinken: „China vor der Revolution? Die Kommunistische Partei und die Korruption“.
In ihren Beziehungen zu den Staaten des globalen Südens beschwört die EU das Mantra des Freihandels und verurteilt Protektionismus. Doch Marktöffnungen haben für die Wirtschaften dieser Länder oft fatale Konsequenzen, die Erinnerungen an die Zeit des Kolonialismus wachrufen. Der Politikwissenschaftler Guido Speckmann entlarvt die Doppelmoral hinter der europäischen Handelspolitik: Denn wenn es der heimischen Wirtschaft nützt, greift die EU mitunter selbst auf protektionistische Maßnahmen zurück: „Kolonialismus auf Samtpfoten. Die Handelspolitik der Europäischen Union“.
Ob in der Debatte über Uli Hoeneß Steuerhinterziehung oder den Missbrauch von Pola Kinski – stets werden heute auch Fragen des individuellen Lebensglücks verhandelt. Den Grund für das gesteigerte Interesse an individuellen Schicksalen entdeckt Klaus Günther, Professor am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a. M., in den Wünschen, Zielen und Erwartungen des Menschen an sich selbst. In der kapitalistischen Moderne werde diese immer mehr von Ökonomie und Politik in Dienst genommen: „,Du musst Dein Leben ändern‘. Die ethische Produktivität des Menschen und ihre Ausbeutung“.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem zu folgenden Themen: „Propaganda und Märtyrertum: Drei Jahrzehnte Videodschihad“, „Der Konsumismus kennt keine Feinde“, „Das Regime der Prekarisierung“ sowie „Die große Transformation der Religionen“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Juni 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Rechenkunst

Die Bevölkerungsentwicklung Deutschlands hat mittlerweile angefangen, selbst die deutsche Politik zu beunruhigen. Das darf als hellsichtig gelten, gingen in den westdeutschen Bundesländern die Zahl der Geburten doch erst seit Wende der 1960er Jahre zurück – die DDR folgte erst nach der Vereinigung zeitversetzt diesem Trend. Die Geburtenrate Deutschlands ist somit die niedrigste innerhalb der Europäischen Union – Chapeau!
Der gute und große alte Rousseau hat einstmals einen ziemlich weisen und plausiblen Maßstab dafür definiert, was als „Gutes Regieren“ (als „Good Governance“ heute eine gern abverlangte Voraussetzung bei der Unterstützung von Entwicklungsländern) gelten kann: „…Mich persönlich setzt es immer wieder in Erstaunen, daß man ein ganz einfaches Kennzeichen absichtlich oder unabsichtlich nicht wahrnimmt. Was ist denn der Zweck der gesellschaftlichen Vereinigung? Doch nichts anderes als die Erhaltung und das Wohl ihrer Glieder. Und welches ist das sicherste Kennzeichen für ihr Wohlbefinden? Die Zunahme der Bevölkerung. Man suche also dieses vielumstrittene Kennzeichen nicht woanders. Bei Gleichheit aller übrigen Verhältnisse ist unstreitig die Regierung die beste, unter der sich ohne fremde Mittel, ohne Naturalisation, ohne Kolonien die Zahl der Staatsbürger vermehrt. Die Regierung dagegen, unter der ein Volk dezimiert wird, ist die schlechteste. Jetzt, ihr Rechenkünstler, macht euch ans Werk! Zählt, meßt und vergleicht!“

HWK

Und morgen, liebe Kinder, erzähle ich Euch …

„Jeder kann es schaffen!“ Dieser Mythos des Kapitalismus ist offenbar nicht tot zu kriegen. Besonders gern glauben die Amerikaner daran, obwohl auch bei denen allenfalls gilt: jeder vielleicht, aber keinesfalls alle. Es ist wie im Lotto: Jeder kann Millionär werden, aber nicht alle!
Statistisch belegt ist jedoch das genaue Gegenteil: Keiner schafft es, der nicht mindestens mit einem edelmetallenen Löffel im Munde geboren wurde! Und die paar, die es trotzdem schaffen, stehen nicht für die Regel „Jeder kann es …!“, sondern sind die Ausnahmen, die die wirkliche Regel bestätigen: „Keiner schafft es, der nicht mindestens …!“ Merke: „Exceptions make the rule.“

                                                                                                                            Alfons Markuske

Kimilsungismus-Kimjongilism von Benin Zahlen Gelobt

Pjöngjang, den 4. Juni (KCNA) – Teilnehmer von Benin in der afrikanischen regionalen Seminar über „Die Juche-Ideologie und Lesson for Independent Change of Africa“ hielt einen Vortrag in Cotonou, Benin, bei ihrer Rückkehr in das Land am 22. Mai.
Anwesend waren Persönlichkeiten der Benin National Committee für das Studium der Juche-Ideologie, die Benin-Gruppe für das Studium der Kimilsungismus-Kimjongilism und des Cotonou-Institut für Journalismus von Benin und Menschen. Hessou Kohovi, Vorsitzender des Nationalen Komitees für Benin Studium der Juche-Ideologie, die sich wie folgt: Ein Reporter und Referenten des Seminars lobte Präsident Kim Il Sung und Kim Jong Il als großen Lehrer der progressiven Menschheit und die ewige Sonne, die unsterbliche Beiträge zur koreanischen Revolution und die Ursache der globalen Unabhängigkeit durch die Gründung der Juche-Ideologie gemacht und die Idee Songun und entwickeln sie in die Tiefe. Sie unterstrichen die Notwendigkeit, das Banner der höheren Kimilsungismus-Kimjongilism die vollständigen Antworten auf alle Fragen, die sich bei der Durchführung der Ursache der globalen Unabhängigkeit für die Unabhängigkeit und Wohlstand in Afrika gibt zu halten. Die DVRK hat stetige Siegeszug in ihren Bemühungen für den Aufbau einer blühenden Nation und der Verteidigung der Souveränität dank der hervorragenden Leitung des angesehenen lieber Marschall Kim Jong Un, und das ist der große Sieg der Juche-Ideologie und der Songun Idee gemacht.
Pascal Zouncheme, Chef der Benin-Gruppe für das Studium der Kimilsungismus-Kimjongilism, verwies auf die Tatsache, dass ein Appell an die Anhänger der Juche-Ideologie auf dem Seminar wurde angenommen. Er fuhr fort: Es ist die dringende Nachfrage nach Durchführung der Ursache der globalen Unabhängigkeit der Demokratischen Volksrepublik Korea, die eine Festung des globalen Unabhängigkeit und ein Wegweiser des Sieges ist zurück.Wir machen mehr Dynamik Bemühungen des koreanischen Volkes Sache der Gerechtigkeit zu unterstützen und Solidarität, um es zu senden.

Google-Übersetzung einer Spitzenmeldung der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA

Von Eichelhähern und anderen Vögeln

Was für eine Musik darf man von einer Band mit dem Namen „Schleuse“ erwarten? Das fränkische Quartett sieht sich selbst in der Tradition von Bob Dylan, Tom Waits, Nick Cave oder 16 Horsepower.
Die Messlatte ist also durchaus hoch gesteckt für das Debütalbum „Knowledge About The Jaybird“. Doch es ist nicht nur die Liebe zu diversen Vögeln (jaybird ist die englische Bezeichnung für Eichelhäher), die die fünf Mannen umtreibt. Es sind kuriose Begegnungen, Empfindungen oder Träume, denen sie ein passendes musikalisches Federkleid verpassen. Sie pflegen hierbei einen Folk-Stil, der sich nicht auf radiotaugliche 3-Minuten-Mitgröl-und-Mitschunkel-Lieder fokussiert. Ihre Songs weisen komplexere Strukturen auf, keine eingängige Massenware, aber auch keine exaltierten Improvisationsstücke. An einigen Stellen lassen sich Anklänge an die ersten Alben der Folkrock-Legende Jethro Tull um Ian Anderson heraushören. Allerdings kommt keine Querflöte zum Einsatz, sondern Gitarren, Cello, Akkordeon, Banjo und Kontrabass.
Die Schleuse-Band zeigt sich erstaunlich abgeklärt. Ihre Art der progressiven Folkmusik lässt auch bei mehrmaligen Abhören immer wieder neue Facetten zu Gehör bringen: fünf schräge Vögel mit beachtlichem Kreativpotential und hohem Sympathiefaktor… Die auch als klassische Langspielplatte erhältliche Veröffentlichung ist gleichzeitig das erste Album auf dem vom Gitarristen Michael Winkler gegründeten Label Bekassine Records.

Thomas Rüger

Schleuse: Knowledge About The Jaybird, CD 2013, Bekassine Records, circa 12,00 Euro (als LP circa 18,00 Euro

Kurze Notiz aus Halle

Die positiven Nachrichten zuerst: Als das Ordnungsamt Strafzettel an den Autos der Hochwasser-Helfer verteilte, erregte das nicht nur die Bürger, sondern auch OB Bernd Wiegand. Flugs ließ er alle Knöllchen für ungültig erklären. Auch die Händel-Festspiele wurden vom Rathaus abgesagt: Niemand soll in einer Halle feiern, die von Helfern zur gleichen Zeit mühevoll wasserdicht gehalten wird.
Und noch eins: Gestern noch forderte der Rektor der hiesigen Universität die Bürger auf, gemeinsam mit den Studenten gegen die Sparpläne der Landesregierung auf die Straßen zu gehen; heute stellte er den Lehrbetrieb an der Hochschule ein und entließ somit 20.000 Studenten an die Schippen und Sandsäcke. Wie sich an den Emblemen auf den T-Shirts und Pullovern der Helfer zeigt, durchaus mit Erfolg: Die junge Akademiker packen zu Hunderten mit an, der Schulterschluss zwischen Uni und Stadt wird ein weiteres Mal vollzogen.
Und noch eins: Die Hallenser stecken zwar knietief im Wasser, aber die versprochenen Hilfe von Bund und Land lässt sie dennoch kalt. Andere Ortschaften, in denen das Wasser ganz andere Stände erreicht hat, hätten die Hilfe nötiger, heißt es immer wieder. Von Grimma ist die Rede, von Pirna und Döbeln. Dieses solidarische Denken überrascht angesichts eines Rekordstands der Saale: Seit mehr als vier Jahrhunderten ist der Fluss in Halle nicht derart angeschwollen.
Die Hallenser bleiben optimistisch, weil sie größtenteils nicht nah am Wasser gebaut sind und haben. Die Saaleaue und die vielen Inseln im Fluss – allein die Peißnitz misst eine Länge von 2,5 Kilometern – nehmen traditionell viel Wasser auf. Traditionell verschwinden auch die Straßen in Ufernähe im Wasser, während die alten Wohnviertel wie Kröllwitz oder Giebichenstein hoch über der Saale stehen. Alles gut also? Nicht ganz, denn in der Innenstadt stehen teure Neubauten recht nah am Ufer. Das Medien- und Kommunikationszentrum musste bereits geflutet werden, das MDR-Gebäude steht inzwischen auch auf weichem Grund.
Wesentlich schlimmer aber sieht es am westlichen Ufer der Saale aus. Hier halten zwei schwächelnde Dämme die Fluten von der ins Flachland gebauten Neustadt fern. 45.000 Einwohner könnten auf einen Schlag zu Hochwasseropfern werden, wenn einer der Dämme nachgibt. Technisches Hilfswerk, Bundeswehr, Feuerwehr und hunderte Helfer versuchen das zu verhindern.
Und hier kommen plötzlich etwas nachdenklich stimmende Bilder: Hochwasser-Touristen, die mit ihren Autos die Zufahrten versperren. Oder gleich mit dem Paddelboot über die Fluten ziehen, ihre Gaudi haben und am Ende noch gerettet werden müssen. Schippe drauf, möchte man meinen.
Oder die Neustadt: Ein sozialer Brennpunkt, wie es so schön heißt. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos oder im Vorruhestand. Zehntausend könnten also dabei sein und ihr Viertel, sich selbst schützen. Tatsächlich aber fanden sich zeitweise nur knapp hundert Menschen am schwächsten Damm ein. Und das waren zum Großteil – Studenten. Wieder: Schippe drauf, möchte man meinen.
Zuletzt eine wirklich verblüffende Szene: Das Wasser steht gleichauf mit dem Damm, die Helfer stapeln in Windeseile die Sandsäcke drüber – und der Anwohner liegt im Garten, erfreut sich an der Junisonne und sieht den Helfern zu, wie sie seine Tomaten trocken halten. Die Nerven muss man auch erst mal haben!

Thomas Zimmermann

Aus dem Nähkästchen

Mitternacht. Bar in Berlin. Tresen.

Wie immer? – Wie immer.
War wohl ein harter Tag? – Na ja, eigentlich wie immer.
Also erfolgreich? – Mehr als das: formidabel!
Na ja, in meiner Position hockste eigentlich ständig auf nem Schleudersitz. Da musste immer aufm Quivive sein. Sonst landeste schneller im Himmel als de denkst. Da kennt unsere Königin keine Gnade.
Ich mein, ich bin immer noch einer der besten im Team. Thomas, hatse letztens erst gesagt, Thomas, auf Dich ist Verlass. Aber sicher sein, das kannste halt nie, das gehört zu ihrem Führungsstil: Beißen und Stechen, wenn angesagt!
Ach was heißt hier schon Drohnenpanne. Das ist doch alles nur Journalismusgeseiere. Was ist denn schon passiert. Da hat der TÜV ein  technisches Gerät nicht zugelassen, weil ein Ersatzteil gefehlt hat. Könn´ wer doch dem TÜV nur dankbar sein, dafür iss er doch da. Ich hab bei denen gleich angerufen und mich bedankt. Kleine Nachrüstung und die Sache ist vergessen. Zahlen wir aus der Portokasse!
Wie, die Opposition will mir ans Portepee? Iss doch lächerlich. Diese Nulpen ham doch damals das Drohnengeschäft eingefädelt. Schon bemerkt, meine Liebe, bei der ganzen Diskussion geht´s nur ums Geld, ums angeblich verplemperte Geld. In der Sache sind wir uns einig. Wir  brauchen die Drohne. Die ist für unser Land existentiell wichtig. Wir wollen doch in Zukunft unsere Freiheit nicht nur am Hindukusch verteidigen.
Also meine Bienenkönigin hat gesagt: Ein Drohnensterben muss verhindert werden. Na, dafür bin ich doch da.
Außerdem ist dieses Gerät ja sowieso schon von deutschem Boden aus erprobt worden. Ham die Amis für uns von Ramstein aus gemacht. Mit kolossalem Erfolg, sag ich Dir, mit kolossalem Erfolg. Ob wir davon gewusst haben. Na ja, ich sag mal so: offiziell nicht.
Weißte, die Oberdrohne in Washington und unsere Bienenkönigin, die können sowas von gut miteinander, da gibt´s zwar öfter mal irritiertes Gesumme im Bienenstock. Aber als gemeine Drohne biste da vorsichtig. Tust Deine Pflicht und fertig.
Ob sie Lieblingsdrohnen hat? Nun ja, welche Bienenkönigin hätte die nicht. Als Drohne lebste nun mal gefährlich, musste immer auf dem Quivive sein.
Einen nehm ich noch und dann geht´s ab in die Falle.

Jürgen Scherer

Aus anderen Quellen

Der Schriftsteller Ingo Schulze erhielt vor einigen Wochen den Berthold-Brecht-Preis der Stadt Augsburg. In der Begründung hieß es, kein anderer Schriftsteller gehe den grundstürzenden Umwälzungen jener Wendemonate so minutiös nach wie er. 1989 hatte er – nach eigener Aussage – von einer „reformierten, menschenfreundlichen, also sozialistischen DDR“ geträumt und konstatiert heute: „Mit der Erfahrung nach 1989 sieht man die DDR natürlich in einem ganz anderen Licht, und mit der Erfahrung der DDR sieht man den Westen anders, als wenn man dort geboren worden wäre.“ Für die Beschreibung gegenwärtiger deutscher Zustände ersetzt er den – auch von ihm selbst verwendeten – Begriff postdemokratisch inzwischen durch pseudodemokratisch: „Postdemokratisch suggeriert, man habe die Demokratie ein für alle Mal hinter sich gelassen. Pseudodemokratische Strukturen hingegen lassen die demokratische Wahlmöglichkeit zu, die sich aber nicht unbedingt in Mitbestimmung umsetzt. […] Mir stellt sich mit Blick auf demokratische Verhältnisse […] die Frage nach der Verfügungsgewalt: Inwieweit sind […] Volksvertreter berechtigt, unser Eigentum zu privatisieren? Wie kann man auf die Idee kommen, die Strom- und die Wasserwirtschaft und die Bahn zu privatisieren? Lebenswichtige Dinge werden aus der Hand gegeben unter der ideologischen Maßgabe ,privat ist immer besser‘. Was Unsinn ist, wie nicht nur die Erfahrungen zeigen. Man kann es sich am grünen Tisch ausrechnen: Wenn etwas Profit bringen muss, muss es nicht das Beste für die Allgemeinheit sein. […] Es sind ganz einfache, naheliegende Fragen, die im gesellschaftlichen Gespräch kaum eine Rolle spielen.“

Die Fragen kommen aus dem Heute. Der Schriftsteller Ingo Schulze über mutige Menschen,Pseudodissidenz und Wörter, die man attackieren muss, in: neues deutschland, 17.05.2013. Zum Volltext hier klicken.

Ordnung muß sein!

Es ist so warm, dass ich nicht schlafen kann, und ich habe schon Bromuraltabletten genommen, aber sie helfen auch nicht. Ohne poetische Veranlassung wälze ich mich schlaflos auf meinem kärglichen Lager …
Horch, ein Stimmchen! Und was für eins! Es ist so die Stimme, die ein ausgewachsener Mann nachts um halb zwei Uhr zu haben pflegt, wenn er – aber woher mag der Kerl all die Spirituosen haben, die nötig gewesen sind, um ihn in diesen Zustand zu versetzen? Denn er hat gehörig einen weg. Hört doch nur, wie er rummelt –!
»Alle schlag ich sie zusammen – ich! – ein Revolver – Sie werden den Zaun nicht pinseln, mein Herr, Sie nicht – –« Offenbar sind andre gewichtige Baßstimmen am Werk, den Wütenden zu bändigen, aber es scheint nicht viel zu helfen. »Was – was wollen Sie von mir?« brüllt er.
Wenn er nun haut? Ich bin zu faul aufzustehen. Und jetzt bringen sie ihn überhaupt zu Bett – – das Getöse verzieht sich …
Klirr! macht es. Und noch einmal: Klirr – bautsch! Der Herr mit den Spirituosen hat offenbar die Fensterscheiben einer Wohnung zerhauen. Großes Palaver. »Der Mann muß weg – der haut ja alles kurz und klein!« (Als ob das in Deutschland ein Grund wäre, weg zu müssen – so ein politisches Kind!) – »Einfach in’ne Droschke – und der Fall ist erledigt!«
Offenbar ist der Fall wirklich erledigt, denn nun ist alles still.
Und da stehen doch nun wahrhaftig die vier biedern Baßstimmen von vorhin unten auf der Straße und tun was –? Sie erörtern die Rechtslage. Sie stellen sorgfältig und genau fest, weswegen dieser Mann verurteilt, belangt und eingespunnt werden könne. Sie sind selbst nicht mehr so ganz fest auf den Beinen – aber juristisch geklärt werden muß der Fall doch noch, bevor sie ins Bett gehen. Einer plädiert für Ruhestörung und öffentlichen Lärm – offenbar ein delictum sui generis – einer ist für Sachbeschädigung, und einer leitet aus dem betrübenden Vorkommnis ein Kündigungsrecht des Hauswirts her. Und da stehen sie nun – aber nun muß ich doch aufstehen – da stehen sie nun im Mondeslicht, schwankend, vier Mann hoch mitten auf dem leeren Damm, durchaus von Spitzweg, und erörtern die Rechtslage. Die Blätter rauschen sanft, und die vier deutschen Männer sind fünferlei Meinung. Gott segne dieses Land –!
Es gibt ein altes Wort: »Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer ihm schadenersatzpflichtig ist.«
O stünde er doch bald auf! –

Peter Panter
(Aus: Berliner Tageblatt, 07.07.1919)