15. Jahrgang | Nummer 2 | 23. Januar 2012

Antworten

Harald Schmidt, Late-Night-Talker und Kenner historischer Parallelen – Kürzlich meinten Sie auf die Feststellung, für manche sei Karl-Theodor von Guttenberg schon der deutsche Kennedy gewesen: „Man kann Kennedy ja nicht nur am Anfang sein, man muss dann auch Kennedy am Schluss sein.“ Vorsichtige Nachfrage unsererseits: Wollten Sie KT damit nur zur rechten Zeit raten, von seiner zu befürchtenden politischen Wiederauferstehung in Amt und Würden doch besser abzusehen – oder wissen Sie schon mehr?

X. Y., Autor – Ein Blättchen-Autor, an dessen Manuskript sich der Redakteur einige Retuschen nicht verkneifen konnte, fragte erbost an, ob er diese akzeptieren müsse. Keineswegs! Wir geben aber zumindest zu bedenken, was der Gründer und Verleger von Schaubühne und Weltbühne, Siegfried Jacobsohn, mit Datum vom 11. August 1922 an seinen besten Autor Kurt Tucholsky schrieb: „Ich habe gestrichen, ergänzt und geändert […] Sie können alles, was ich angerichtet habe, wieder rückgängig machen. Aber wenn Sie Verstand und Fingerspitzengefühl haben, werden Sie keinen Buchstaben antasten, denn ‚ich habe alles reiflich erwogen’.“

Alex Salmond, schottischer Premier – Ihre Regierung bereite „die wichtigste Entscheidung in Schottland seit 300 Jahren“ vor, haben Sie angekündigt und damit einen Volksentscheid gemeint, der im kommenden Jahr darüber entscheiden soll, ob Schottland weiterhin Teil des Vereinigten Königreiches bleiben wolle oder sich abspaltet. Ihr schlagendes Argument: Mehr als 90 Prozent der beträchtlichen Erdölförderung Großbritanniens geschieht vor den schottischen Küsten, der Teilstaat – ohnehin in Vielem nicht grün mit der Londoner Zentrale – könnte dann verdientermaßen an diesem Reichtum partizipieren. Was Sie daraus an Wohlstandssprüngen voraussagen, dürfte seine Wirkung auf das Wahlvolk nicht verfehlen. Wundern sollten Sie sich indes nicht, wenn sich die zu Schottland gehörenden Shetland-Inseln, vor deren Küsten die nächsten Großinvestitionen zwecks Neuerschließung von Lagerstätten avisiert ist, ihr Partikularinteresse dann in gleicher Weise durchzusetzen gewillt sind. Die wiederum müssten dann mit einem Selbständigkeitsbegehren ihrer Hauptinsel Mainland rechnen, auf der die bisherige wie künftige Ölförderung aus dem Meer anlandet.

Mario Czaja, neuer Berliner Sozialsenator – In einem Gespräch des rbb-Nachrichtenmagazin Abendschau sind Sie auf den Vorschlag der Grünen aufmerksam gemacht worden, Ombudsstellen einzurichten, um die hoffnungslos mit Hartz-IV-Klagen überforderten Gerichte zu entlasten. Den Beginn Ihrer Antwort halten wir für nahezu sensationell, denn im Gegensatz zu den üblich pauschalen und oft genug mit verächtlichmachenden Zurückweisungen von Vorschlägen der Opposition reagierten Sie mit den Worten: „Die Initiative der Grünen ist nicht schlecht.“ Entweder Sie sind nun wirklich zumindest individuell um einen anderen als den tradiert kulturlosen Politikstil bemüht, oder Sie sind im Politikbetrieb des deutschen Parlamentarismus noch nicht so recht angekommen. Wir hoffen auf ersteres.

Bodo Ramelow, Thüringer Chef-Linker – Das Amtsgericht Dresden hat Sie zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie eine Blockade gegen den faschistischen Aufmarsch am 13. Februar 2010 „maßgeblich initiiert“ hätten, woraus die politneutralen Robenträger Ihnen gegenüber den juristischen Vorwurf einer „groben Störung“ im Sinne des Versammlungsgesetzes abgeleitet haben. „Unter der Binde der Justitia leuchten zwei wohlgefällig plinkernde Augen“, ist Kurt Tucholsky aus dessen reichlicher Auswahl von Klartexten über die deutsche Justiz hier zu zitieren. Dass die Augen der ehrbar verkommenen Dame nicht Ihnen zuplinkern, Herr Ramelow, versteht sich …

Joachim Müller-Jung, FAZ-Glossist – „Eine Art kognitiver Klimawandel fegt durch die Gesellschaft“, amüsieren Sie sich zu Recht über das Possenspiel mit und um Wulff. „Das Volk ist in Angst vor der Demenz. Frühwarnsysteme werden installiert. Am Klinikum Darmstadt will man schon bei jungen Leuten Ablagerungen von Tau-Proteinen – typisch für Alzheimer-Gehirne – in der Nase suchen. In Leipzig wiederum sucht man mit Hirnscans an einem Knotenpunkt im Stirnhirn nach frühesten Spuren von Demenz. Und der Bundespräsident? Er taktiert und gibt sich als Hohepriester der Gedankenflucht, statt, wie es seines Amtes wäre, unsere Kultur im Kampf gegen den kognitiven Werteverfall zu unterstützen. Das ist glatte Fahnenflucht.“ Wer den Schaden hat …

Dr. Gregor Gysi, amtierender Leit-Gott der deutschen Linken – Man solle sich doch über die neue Führungsspitze der Partei „in einem gewissen Kreis verständigen“, lautete – wenn wir uns recht entsinnen – Ihre Weihnachtsbotschaft an die ratlose Genossenschaft. Die lässt sich seitdem ein Orakel nach dem anderen legen, wie denn das nun gemeint sein könne. Die Landesvorsitzenden mit Ihnen an der Seite? Die Fraktion, da sind Sie ja drin, und der bisherige, igittigitt-Bundesvorstand? Die Partei insgesamt, also Urabstimmung? Oder praktischerweise gleich der Genosse G. G. mittels eines Telefonates mit dem in der Satzung nicht vorkommenden Genossen Oskar? Wie wäre es, Sie erinnerten sich an den Gründungsparteitag Ihrer linken Vorgängerpartei, auf dem Sie selbst jeglichem „Avantgarde“-Denken abschworen und lassen das einfach mal den nächsten Parteitag entscheiden?

Hans Werner Kilz, Ex-Chef der „Süddeutschen Zeitung” – Sie haben Ihre Journalisten-Kollegen aufgefordert, weniger Aufhebens um Wulff und den Anruf bei Bild-Chef Diekmann zu machen. Den direkten Draht zwischen Spitzenpolitikern und Chefredakteuren habe es schließlich immer gegeben. „Ich verstehe zwar, dass die Journalistenverbände jetzt Zeter und Mordio schreien müssen, weil angeblich die Pressefreiheit in Gefahr sei. Aber ich würde das Ganze etwas tiefer hängen. Journalisten sollten nicht so larmoyant sein. Wir teilen gerne aus, dann sollten wir auch einstecken können.“ Das dürft als ebenso trefflich wie allzu kollegial milde formuliert gelten …

Kristina Schröder, Gallionsfigur für Politkompetenz – Auf eine Anfrage der SPD, ob auch die deutsche Band „Ton Steine Scherben“ oder etwa ein John Lennon („Power to the people“) nach dem von Ihnen geäußerten Verständnis von Linksextremismus unter selbigen fallen würden, haben Sie antworten lassen: Songtitel der Rockgruppe „Ton Steine Scherben“ vermittelten „nicht voraussetzungslos linksextremistisches Gedankengut“ und seien in „ihrer Interpretation grundsätzlich bedeutungsoffen und in der Rezeption kontextabhängig“. In nur leichter Abwandlung des großartigen Musicclowns Grock fällt uns als Kompliment nur ein: Sprachakrobat schöööön!