14. Jahrgang | Nummer 5 | 7. März 2011

Bemerkungen

Transatlantischer Lügenbaron

So haben ihn uns also die Konzernmedien präsentiert: smart, jung-dynamisch, authentisch und natürlich aristokratisch. Zur Guttenberg’schen Familientradition  gehört es, wie uns eine geschickte PR-Kampagne suggerierte, für seine Prinzipien auch schon mal sterben zu können. Ein Held also, für unsere an Polit-Helden nicht eben reichen Zeit. Das arg angeschlagene CSU-CDU-Schlachtschiff sollte der Herr Baron wieder auf Vordermann bringen und vielleicht gar als künftiger Kanzlerkandidat bereitstehen. Nun ja, für die eigene Standesehre war der Adel manchmal schon zu sterben bereit. Aber zumindest im Falle unseres Lügenbarons ganz gewiss nicht für akademische Ehrlichkeit und Anstand. Diesbezüglich gelang dem Freiherrn zu Guttenberg nun allerdings sogar der Sprung in das Pantheon transatlantisch agierender Persönlichkeiten.
Möglicherweise ist diese transatlantische Bedeutung für unseren Lügenbaron allerdings nicht ganz standesgemäß. Denn sie kam nicht durch des Doktors mit einer großen Anzahl fremder Federn geschmückten und die europäische und amerikanische Verfassungen vergleichenden Dissertation zustande. Nicht einmal des Barons Tätigkeit als Bundeskriegsminister spielte da die ausschlaggebende Rolle.  Nein, die Ehre transatlantischer Bedeutsamkeit fiel auf unseren K.T. wegen seiner nun wirklich dreisten Zitatenschummeleien. An der State University of New York im kleinen Städtchen Potsdam nämlich gibt es in der historischen Fakultät eine Pflichtlehrveranstaltung, die von allen angehenden Historikern und Geschichtslehrern belegt werden muss. Und in eben dieser Lehrveranstaltung lernen die Studenten nun am traurigen Beispiel des gewesenen Doktors  zu Guttenberg, wie man sich unter keinen Umständen verhalten darf.
Wie Guttenberg mit seiner Doktorarbeit schwindelte, ist ohne Frage ein Skandal. Ein noch viel größerer Skandal aber ist seine Politik, die im Namen von Freiheit und Demokratie Mord und Totschlag nicht nur in Afghanistan verbreitet.

Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.

Im Diskutantenstadel

Noch ist die heiße Diskussion um KTG nicht abgeflaut, da schwappt schon der nächste Erregungstsunami über uns zusammen: E10! Welche Karosse verträgt ihn? Ist E10 wirklich preiswerter als Super plus? Ist es überhaupt ökologischer? Und: Gehören Nahrungsmittel in den Tank?
Jede dieser Fragen ist sicher berechtigt, die letztere ganz und gar. Und sie wird, wie die anderen auch, nun hin und her erwogen, allem voran durch Experten aller Kragenweiten.
Merkwürdig ist nur eines: Keiner befragt den ökonomischen, ökologischen und kulturellen Schwachsinn, diese unsere Welt durch immer neue und immer mehr Automobile kaputtzumachen; sei es mit etwas mehr oder etwas weniger Spritverbrauch. Und keiner in der Politik, der den Arsch in der Hose hätte, nach wirklichen und vor allem zukunftsfähigen Modellen des Nah- und Fernverkehrs zu suchen. Nach öffentlichen Verkehrsmitteln vor allem, deren Nutzungs-Preis – natürlich staatlich subventioniert, was denn sonst –, deren Verfügbarkeit und deren Komfort so gestaltet ist, dass er den Transport per privatem PKW und einen Großteil der Blechlawine überhaupt überflüssig machte.
Aber ach – da hieße es, ans Eingemachte gehen in einem Land der Autobauer und -exporteure. Da bräuchte es politischen Mut, vermutlich sogar gegen Mehrheiten. Nicht, dass unsere Politik diesen nicht besäße. Wenn es um Kriegführung wie in Afghanistan geht, ist ihr die Mehrheitsmeinung ja auch wurscht. Aber beim Auto …
Wobei die politische Feigheit ja noch viel früher anfängt: Wie viel CO2 ließe sich schlagartig einsparen, wenn man hierzulande (wie in den meisten europäischen Ländern schon lange) die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 110 oder 130 Kilometer pro Stunde senken würde. Aber wer traut sich schon, es sich mit der Volkspartei ADAC zu verderben?

Herbert Jahn

Ungeordnetes Leben

Vom Profil des Mannes tropft Wasser, er steht am Waschbecken, rasiert sich aufs penibelste, spült den Rasierschaum ab, trocknet sein Gesicht, macht sich eine farblose Flüssigkeit in die Haare, kämmt durch, schaut in den Spiegel, klopft sich mit beiden Händen ins Gesicht, dass es klatscht.
In der Küche schmiert er sich ein Brötchen, schlingt, greift von irgendwo einen Kaffee, schüttet ihn herunter. Er zieht sich vor dem Spiegel im Flur ein Hemd an, schmeißt sich ein Jackett über.
Er hält einen Telefonhörer an das Ohr, er lächelt siegesgewiss:  „Ja, Frau Müller, ja guten Tag, Michaelis hier … Ja, ja … Ich rufe an wegen … Ja genau … Ach so, … Hhm … Haben sie … Ja, haben sie? Ich habe noch … Ja … Ja … Habe ich … Gut, dann schick ich Ihnen das rüber, die Adresse? Hhm …“ Er schaut hilflos. „Ja, ist notiert …“ Nichts ist notiert. „Ja … gut … ja … Ihnen auch … ja.“
Aufgelegt. Sein Lächeln weicht, entgleist, er stöhnt kurz auf, sinkt zusammen, sinkt auf einen Stuhl. Wir verlassen ihn von hinten, wir sehen einen schwarzen Schatten entschwinden: „Bloß raus hier.“
Der Gerichtsvollzieher wird später notieren: „Ein Schreibtisch, beschädigt, mit Papier- und Konsummüll überhäuft, schimmlige Teller darauf, Essensreste. Im Zimmer nur wertloser Müll, ungeordnet, vernichten! In der Küche: Kaputtes Mobiliar, schimmelnde Kaffeefilter, zwei Liter kalter Kaffee auf acht Tassen verteilt, abgemessen, keine Lebensmittel, nur Schimmel. Im Flur: Ein gebrochener Spiegel, Anziehsachen, nass und schimmelnd. Im Badezimmer: Exkremente. Kurz: Nichts zu holen …“ Ein kleiner Witz. „… außer für die Ratten.“ Ein Lächeln über die eigene Genialität.
Der Gerichtsmediziner stellt fest: „Bekleidet mit Hemd und Jackett, sonst nichts. Hat aufgehört zu leben, keine Chance, sofort tot. Fremdeinwirkung ist auszuschließen.” Abgeheftet: „Und weg damit.“
Die Polizei findet später heraus: „Keine Angehörigen auffindbar, amtliches Begräbnis!“ Kaffee holen, übers Kinn fahren: „Mal wieder rasieren? Bin ja schließlich im Staatsdienst.“
Frau Müller gibt seine Akte ins Archiv, Vermerk: „Verstorben.“ Gedacht: „Entsorgt.“
Ein ungeordnetes Leben findet sein Ende – Selbstschutz.

Paul

Make Money

Nun steht er in Berlin vor Gericht, der Börsen-Guru Markus Frick, und es tut ihm fürchterlich leid, Anleger zum Kauf wertloser Papiere verleitet zu haben oder eben solcher, an denen er ein privates, anteil-nehmendes Interesse hatte. „Make Money“ hieß seine Show bei N24. Frick war – und ist – also ein Showmaster und kein Banker. Das erklärt vielleicht, warum es unter all den Berufsspekulanten bei ihm sogar zu einer Anklage reicht. Für einen Banker hätten die Hürden dafür erheblich höher gelegen, irgendwo in der Stratosphäre vermutlich.
Frick, der gelernte Bäcker und  begnadete Spekulant, gibt von besagtem Prozess auf seiner Homepage der Kundschaft nicht einmal in der Rubrik „Frick-News“ Kenntnis. Dafür offeriert er unter anderem das Angebot seiner DVD „Die todsichere Strategie“, sie ist für 79 Euro zu haben.
Allerdings: Da auch Aktienanleger letztlich nichts anderes sind als Spekulanten – wirklich leidtun muss unsereinem nicht, wer sich auf das gierglatte Parkett begibt, auf dem Geld Geld verdienen soll. „Wirf den Banker, wohin, du willst: er fällt immer auf dein Geld“, hat Tucholsky zeitlos treffend festgestellt. Den Anlageberater als Berufsstand hat es seinerzeit wohl noch nicht gegeben, sonst hätte er in diesem Aperçu sicher nicht gefehlt.

Hella Jülich

Wegbereiter der Moderne

Während die meisten neuen Biografien über Franz Liszt schon im Herbst 2010 – also gut ein Jahr vor dessen 200. Geburtstag – vorlagen, gehen die Verlage Heinrich von Kleists 200. Todestag eher ruhig an. Als eine der ersten Neuerscheinungen, die dem Leben und Werk sowie der Wirkung des am 10. Oktober 1777 in Frankfurt/Oder geborenen und am 21. November 1811 am Wannsee durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Dichters folgen, erschien Ende Januar in der – zur Erstinformation empfehlenswerten – Buchreihe „Suhrkamp BasisBiographie“ eine Einführung über Heinrich von Kleist von Wilhelm Ammann.
Goethe nannte Kleist, dessen Komödie „Der zerbrochene Krug“ er 1808 in seiner Funktion als Theaterdirektor in Weimar erstaufführte, „ein bedeutendes, aber unerfreuliches Meteor eines neuen Literatur-Himmels“. Damit war ihm eine ähnliche Fehleinschätzung gelungen wie im Fall von Jakob Michael Reinhold Lenz, den Goethe noch in „Dichtung und Wahrheit“ als „vorübergehendes Meteor“ bezeichnen sollte. Ist Lenz als Sturm-und-Drang-Dichter die gleiche Bedeutung wie Goethe beizumessen, so darf Kleist für sich beanspruchen, mit seinem dramatischen und erzählerischen Werk der literarischen Moderne den Weg geebnet zu haben. Aus Gründen, die Wilhelm Ammann ebenso konzentriert wie überzeugend zu benennen weiß.
Heinrich von Kleists Dichtung bietet sich dem Leser nicht an, sondern er muss sie sich wegen ihrer inhaltlichen und auch sprachlichen Sprödigkeit hart erkämpfen. Darin unterscheidet sich das Amazonen-Drama „Penthesilea“ in nichts vom Essay „Über das Marionettentheater“. Das ist kein literarisches Unvermögen, sondern Kleists poetisches Programm: Denn in seinem überschaubaren Werk geht es um die Konsequenzen einer aus den Fugen geratenen Welt. „Mit seiner radikalen Vorstellung von Literatur und Leben“, so Wilhelm Ammann, „markiert Kleist den Anbruch einer Moderne, die erst hundert Jahre später ihrer selbst gewahr wird.“ Und nach 1900 erscheint ein kongenialer Nachfolger, der auch ein Kleist-Leser war: Franz Kafka. Um Kleist, diesen singulären Dichter, literaturhistorisch richtig einordnen zu können, ist Ammanns Einführung eine bestens geeignete Handreichung. Danach kann man sich den neuen Kleist-Biografien zuwenden, die in Kürze bei Propyläen, Insel und S. Fischer erscheinen werden.

Kai Agthe

Wilhelm Ammann: Heinrich von Kleist. Suhrkamp BasisBiographie. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2011. 158 S., 8,90 €.

Verdon ist tot

Nicht, dass Spiegel-online eine Boulevard-Plattform ist; aber auf dem Wege dahin macht das Nachrichtenportal doch immer mal wieder beachtliche Fortschritte. Ein solcher hat uns also davon in Kenntnis gesetzt, dass René Verdon gestorben ist. Wer – zu seiner Schande – nun gestehen muss, René Verdon nicht zu kennen, dem sei nachgeliefert, dass es sich um den Koch von John F. Kennedy gehandelt hat, der seinerzeit französische Küchenkultur ins Weiße Haus brachte und auf dem Dach des Präsidentensitzes Gemüse anbaute.
Mein Gott, nun also auch und selbst er. Ist die Mitteilung über Verdons Dahinscheiden von den deutschen Medien leider eh nur beschämend beiläufig behandelt worden, reißt sie nunmehr Fragen über Fragen auf: Was ist mit Kennedys Gemüsehändler, seiner Putzfrau, seinem Gärtner. Wie geht es seinem Butler, dem Hundefriseur, der Putzmacherin von Jackie? Werden wir von deren Ableben ebenso überraschend erschüttert werden wie im Falle Verdons?
Spiegel-online, Spiegel-online an der Wand: Was ist wichtig für uns im Land?

Vera Bärwald

Allerletztes

„Ich weiß, ich habe viel und große Mängel!“
Er spricht es nicht mit Scham, nein, mit Erdreisten!
Und denkt bei sich: Ein so famoser Bengel
Wie ich kann sich ein Schock von Fehlern leisten.

Otto Ernst (1862-1926)

Wiederentdeckt von unserem Autor F.-B. Habel – die Red.