14. Jahrgang | Nummer 4 | 21. Februar 2011

XXL: Feindbild Islam

Der erste Irak-Krieg dauerte vom 2. August 1990 bis zum 12. April 1991 an. Die Geschichte ist bekannt, fast vergessen dagegen, dass justament zur selben Zeit der Publizist Peter Scholl-Latour – ein hervorragend vernetzter journalistischer Haudegen mit herausragenden handwerklichen Qualitäten – ein Buch veröffentlichte, das zum Bestseller werden sollte: „Das Schwert des Islam. Revolution im Namen Allahs“. Quasi als Kronzeugen seiner Vision einer bevorstehenden globalen Auseinandersetzung zwischen den Schwertträgern des Islam und den Bannerträgern der freiheitlich-westlichen (er spricht von christlicher, da er die damalige Sowjetunion in ihrem europäisch-sibirischen Teil einbezogen wissen möchte) Wertegemeinschaft zitiert der de-Gaulle-Sympathisant Scholl-Latour den Gaullisten André Malraux: Das 21. Jahrhundert werde ein religiöses Jahrhundert sein. Damit war das Feindbild fixiert. Samuel Huntington veröffentlichte seine Thesen vom Krieg der Kulturen übrigens erst 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs. Das Buch „Clash of Civilizations and the Remaking of World Order” erschien 1996. Medial wirkten Altmeister Scholl-Latours – immerhin prägte er über dreißig Jahre das Auslandsgeschäft der ARD – Thesen nachhaltig. Eine gewisse Störung erfuhr diese Konditionierung der öffentlichen Meinung in Deutschland durch zwei Ereignisse: 1992 bis 1995 tobte der Krieg um das Schicksal Rest-Jugoslawiens, stilisiert als Kampf der christlichen Serben gegen das muslimische Bosnien. Die Bösen waren wie seit  Kaisers Zeiten die Serben. „Richtige“ Christen sind Serben ja sowieso nicht, sie sind orthodox. 1995 erhielt die nicht unumstrittene Orientalistin Annemarie Schimmel den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Schimmel galt vielen als „ehrliche Maklerin“ islamischer Kultur in Deutschland und ihre Bücher standen nach der Preisverleihung kurze Zeit ganz oben auf den Bestsellerlisten. „Nineeleven“, Osama bin Laden, der Krieg gegen Afghanistan, den Irak und die offenkundigen Integrationsprobleme in den Einwanderungsländern Europas ließen unter dem bunten Lack der Integrationsphrasen die „Kulturkriegs-Thesen“ wieder zum Vorschein kommen. Ausgestanden ist das mitnichten: Der einstige CDU-Rechtsaußen René Stadtkewitz gründete im Herbst 2010 die islamfeindliche Partei „DIE FREIHEIT“. Das islamophobe Mycel greift tief: „Muslime und Homosexualität – oder die doppelte Diskriminierung“ nennt sich eine natürlich aufgeklärte Diskussion am 20. Februar in der Berliner Schaubühne und selbst das Neue Deutschland übertitelte jüngst einen Bericht über eine Publikation des Berliner Verfassungsschutzes „Körting will Muslime von Demokratie überzeugen“ – als ob da ein genetisch bedingter Gegensatz bestände. Und 40 Prozent der Deutschen empfinden die muslimische Community als Bedrohung der kulturellen Identität des Landes. Grund genug für uns, die deutschen Muslime selbst zu Wort kommen zu lassen und einen Blick auf die Rolle der Medien zu werfen. Unser Autor Aiman A. Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Kai Hafez Inhaber des Lehrstuhls Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Ihre Beiträge erschienen zuerst in der Sonderbeilage „Islam.Kultur.Politik“ der Januar-Februarausgabe 2011 der Zeitschrift politik und kultur des Deutschen Kulturrates. Wir danken den Autoren und dem Herausgeber für die erteilten Nachdruckgenehmigungen. Goethe und Kafka sind bekannt.

Wolfgang Brauer

Islam-Bashing

von Aiman A. Mazyek

Endlich hat unser Bundespräsident ausgesprochen, was ohnehin Teil der Realität ist. Fast vier Millionen Muslime leben hierzulande – längst ist der Islam Teil Deutschlands. Hat nicht der ehemalige Innenminister Wolfgang Schäuble vor fast vier Jahren genau dasselbe gesagt und hat er nicht dafür – auch von den Konservativen – Beifall bekommen? Warum jetzt diese Aufregung über diesen Satz? Nun scheint die giftige Saat von jahrelangem Islam-Bashing (im Sinne von „Islam-Prügel“ – d. Red.) selbsternannter Islamexperten, Hassprediger und Islamkritiker aufgegangen zu sein. Inzwischen schüren nicht nur Rechtspopulisten Angst vor der angeblichen Islamisierung unseres Landes. Und so schlägt uns spätestens nach dem 11. September 2001 Hass und Islamfeindlichkeit entgegen. Alltags-Diskriminierungen bei Arbeits- oder Wohnungssuche nehmen zu. Die Situation ist kein Zuckerschlecken für deutsche Muslime. Alleine im Monat November 2010 wurde die Berliner Sehitlik-Moschee dreimal Opfer eines Brandanschlages, vom islamfeindlichen Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht am 1. Juli 2009 ganz zu schweigen. Die eigentliche Frage ist doch: Ist Deutschland bereit, seinen deutschen Muslimen eine Chance zu geben, oder verweist es – wie die Sarrazin-Thesen es deutlich machen – die Muslime direkt auf die Anklagebank? Der Bundespräsident hat das nicht getan und hat die Vielfalt in der Einheit Deutschlands angemahnt.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Uns Muslimen ist es genauso zuwider, wenn in einigen Vierteln pseudo-muslimische Gangster durch die Straßen laufen, die sich in Ermangelung von Identitäten auf das Türkisch-Arabische oder sogar auf das Islamische zurückziehen. Es ist aber falsch, das Verhalten von Kriminellen der Religion zuzuschreiben. Es gibt muslimische Gangster, aber es gibt kein islamisches Gangstertum, weil der Islam dies als Straftat verabscheut. Hier fehlt die Trennschärfe in der gegenwärtigen Diskussion. Hier werden schichtspezifische Probleme einfach islamisiert. Zudem ist die Integrationsdiskussion in Teilen verlogen: Es ist einfach unfair, wenn man Migranten jahrelang Entwicklungsmöglichkeiten vorenthält und ihnen dann die Folgen dieser verfehlten Politik anlastet, selbst aber in einen Überbietungswettbewerb populistischer Phrasen eintritt, wie die jüngste Aussage von Horst Seehofer es deutlich macht. Wer so verantwortungslos redet, muss sich ernsthaft fragen, ob er wirklich die Probleme – die niemand bestreitet, dass es sie gibt – lösen will. Er muss sich auch fragen, warum er ständig Negativbeispiele bemüht, anstatt über die laut dem jetzigen Innenminister Thomas de Maizière 85 Prozent „integrationswilligen“ Einwanderer und deren Erfolgsgeschichte spricht? Und wenn alles nicht hilft, wird die Historie bemüht: die christlich-jüdischen Wurzeln, exklusive des Islam. Die jüdische Philosophin Bruckstein Coruh spricht in diesem Zusammenhang von einer „Erfindung der europäischen Moderne und ein(em) Lieblingskind der traumatisierten Deutschen“. Dabei werden die griechischen Wurzeln Europas einfach ausgeblendet und auch, dass es die Araber waren, die beispielsweise die Schriften von Aristoteles erst geborgen und ins Arabische übersetzt und beigebracht haben. Große christliche Theologen studierten zudem Averroes und Avicenna oder wie sie richtig heißen Ibn Rushd und Ibn Sina. Die griechischen Wissenschaften – als maßgebliches Erbe Europas – wanderten also vom Griechischen über das Arabische ins Lateinische. Wir stehen also im Abendland auch auf morgenländischen Beinen, wer dies verkennt, betreibt Geschichtsfälschung und übersieht die 700-jährige islamische Geschichte Spaniens, das bis heute euro-arabische Malta, den europäisch-muslimischen Balkan, das vom Orient kulturell durchdrungene Sizilien und die über 500-jährige Enklave der muslimischen Tataren in Polen. Es gibt hier nur eines, was wirklich hilft: Augen auf, Europa und zurück zu der Offenheit gegenüber anderen Kulturen, die einen Kontinent so stark macht.
Ein Wert an sich, den Europa für sich auch ausgemacht hat, ist die Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Wenn wir diese Offenheit verlieren, würde so auch ein Stück Europa verloren gehen. Die aktuelle Debatte um Integration in Deutschland darf keine Abwehrschlacht gegen den Islam werden. Ich plädiere vielmehr für einen konstruktiven Wettstreit mit den anderen, die beste Lösung zu suchen. “Nicht um die Wette leben, sondern um die Werte leben”, könnte eines an der im besten Sinne europäischen Tradition angelehntes Credo heißen. Im Umgang mit neuen Minderheiten zeigt sich auch, inwieweit die Werte Toleranz und Freiheit in der Praxis eingelöst werden oder auch nicht. Der Islam mit seiner eintausendvierhundertjährigen Geschichte belegt ja nur allzu deutlich, dass er friedliche Absichten hat, niemand kann das leugnen. Der Islam hat die Möglichkeiten, viel Gutes für die Gesellschaft zu leisten, nicht nur als einzelner Steuerzahler in diesem Land, sondern auch für eine Vision einer besseren und gerechteren Welt zu arbeiten. Die Möglichkeiten werden insbesondere dann entfaltet, wenn die Religion als individuelles Angebot verstanden wird, den eigenen Lebenslinien in Freiheit nachzugehen. Freiheit bedeutet im Umkehrschluss auch Verantwortung zu erkennen und zu übernehmen. Dies heißt dann aber, unsere Lebensarten und Leitlinien auf den großen Marktplatz zu tragen und dort nicht verkommen zu lassen. Sich einzumischen und munter mitzudiskutieren. Ein arabisches Sprichwort besagt: „Die Liebe zum Vaterland kommt vom Glauben“. Der Islam ist nicht nur durch seine Geschichte in Europa ein Teil Deutschlands, sondern auch durch seine real hier lebenden muslimischen Bürger. Und längst ist Deutschland im Herzen vieler Muslime und Teil ihres Denkens, dessen sind wir alle Zeuge, nicht zuletzt bei unserer Fußballnationalmannschaft.

Gingo biloba

von Johann Wolfgang Goethe

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich eins und doppelt bin?

West-östlicher Divan, Buch Suleika

Aufgeklärte Islamophobie. Das Islambild deutscher Medien

von Kai Hafez

Das Interesse deutscher Massenmedien am Islam erwachte während der iranischen Revolution von 1978/79. Die Islam-Berichterstattung in deutschen Massenmedien beschränkte sich vor diesem Ereignis weitgehend auf Randerscheinungen, zum Beispiel die jährlich wiederkehrende Berichterstattung über den Ramadan oder die Pilgerfahrt. Erst die Islamische Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran änderte dies schlagartig und ließ den Islam zu einem weltweit beachteten Medienthema werden, was er bis heute ist. Mit dieser Entwicklung einher ging allerdings auch zwangsläufig eine starke Politisierung des Islambildes, und – was man als Hauptproblem der derzeitigen Situation betrachten kann – eine Verengung der Themenauswahl, die wie bei fast keinem anderen Thema mit Fragen der Gewalt in Verbindung gebracht wird. Ungefähr jeder zweite Artikel oder Beitrag über den Islam thematisiert diese Religion im Kontext körperlicher Gewalt.
Gewalt tritt in verschiedener Form auf, als Terrorismus, als familiäre Gewalt, als Gewalt gegen Frauen oder als ethnisch religiöse Gewalt, die die Demokratie durch Nichtakzeptanz des Gesetzes gefährdet (Stichwort „Parallelgesellschaften“). Kein Wunder also, dass die demoskopischen Umfragen, die wir haben, auf eine wachsende Angst vor dem Islam in Deutschland verweisen. Im Bereich der Auslandsberichterstattung, also der Berichterstattung über die so genannte islamische Welt, sind die Negativwerte der Berichterstattung durch die Fokussierung auf Gewaltkonflikte so hoch wie sonst nur im Bereich der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Die These vom „Feindbild Islam“ ist meines Erachtens mit den Methoden der empirischen Sozialforschung hinreichend belegt worden. Das Hauptproblem ist dabei nicht das Berichten über Gewalt und Repression an sich, sondern die völlige Fixierung auf dieses enge Themenspektrum. Problematisch ist also weniger, worüber berichtet wird, als worüber nicht berichtet wird. Es geht nicht darum, reale gesellschaftliche Missstände zu verniedlichen, aber ich fordere zu einem Nachdenken über die Proportionen des Islambildes auf. Die Gewaltfixierung des medialen Islambildes ist nicht nur ein Problem des Boulevardsektors, sondern erfasst in gleichem Maße auch die seriösen Medien. Ganz im Gegenteil, die eher kurzfristigen Aufmerksamkeitsspannen des Boulevards sind häufig geradezu angenehm im Vergleich zu der permanenten und seit Jahrzehnten bestehenden Fixierung großer seriöser Medien auf das Feindbild Islam. Dabei ist der Islam im engeren Sinne der Theologie, des religiösen Kultus und Ritus kaum im Interesse deutscher Massenmedien. Wenn man sich die Berichterstattung über den Islam in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten anschaut, so könnte man fast den Eindruck bekommen, der Islam sei keine Religion, sondern eine Form der Politik und der politischen Ideologie der Gewalt. Einfache theologische Tatbestände, wie etwa die Tatsache, dass Jesus Christus im Islam als Prophet und Vorgänger Mohammeds betrachtet wird, sind in der deutschen Öffentlichkeit und Gesellschaft den allermeisten Menschen unbekannt. Dieses eine Beispiel allein zeigt das totale Versagen einer sich aufklärerisch gebenden Öffentlichkeit bei der Vermittlung nichtchristlicher religiöser Inhalte. Hier geht es dem Islam übrigens nicht anders als dem Judentum, das ebenfalls in seiner religiösen und kulturellen Substanz weitaus weniger in den Medien präsent ist, als als Hintergrund der historischen Aufarbeitung des Holocaust. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass Ignatz Bubis, der frühere Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, im Jahr 1999, kurz vor seinem Tod, erkannte, dass das heutige Islambild ihn in vielerlei Hinsicht an das frühere Bild des Judentums im 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnert. Die Massenmedien leisten wenig bei der Vermittlung interreligiöser Bildung, da sie sich zu sehr als Sachverwalter enger und engster politischer und sozialer Konfliktstoffe verstehen. Dabei macht die Geschichte der Juden in Deutschland eines klar: Eine einseitige Integrationsleistung einer religiösen Minderheit nützt nichts, wenn die Mehrheit nicht ebenfalls lernbereit ist.
Ein weiteres Problem der Medienberichterstattung ist die Bildsprache, die neben dem Text von besonderer, möglicherweise wachsender Bedeutung in einer Zeit zunehmender Bildmedien ist. Immer wiederkehrend sind etwa folgende Impressionen des Islams: Schleier, Massenfotografien vor allem von Mekka und von Demonstrationen, Koran, Kinder und Kalaschnikows, die Prachtbauten des arabischen Golf, islamische Schlachtrituale und Geiselprozessionen aus dem Iran. Dies ist keine zufällige Zusammenstellung, sondern die vorgenannten Bildelemente entsprechen exakt den Bildern, die der Stern jüngst in einer Sonderausgabe über den Islam aneinanderreihte. Seit der Iranischen Revolution zeigt nicht nur dieses Bildmedium eine konstante Bilderwelt, es sind die grundlegend gleichen Bilder, die auch schon die Berichterstattung über die Iranische Revolution beherrschten und die in ihrer Gesamtheit totale Fremdheit suggerieren. Wie ein positiver Schock wirken da vereinzelt publizierte Fotos wie jüngst von verschleierten Frauen mit deutscher Fahne während der Fußballweltmeisterschaft. Insgesamt aber ist die Bildsprache der Medien symbolisch überfrachtet und ohne dokumentarischen Anspruch. Das deutsche Medienbild des Islams wird von Eliten und von Gegeneliten beherrscht. Es ist zum einen beklagenswert, weil der Bürger oder die „schweigende Mehrheit“ außen vor bleibt. Es ist allerdings normal für einen Journalismus, der Ansprechpartner braucht und auf aktive Gesellschaftskräfte angewiesen ist, um einen Tagesjournalismus zu betreiben, der nicht in jedem Einzelfall investigativen Tiefgang haben kann. Interessant ist allerdings die Zusammensetzung der Akteure. In der Nah- und Mittelostberichterstattung deutscher Printmedien etwa dominieren Staatsvertreter und ihre Gegenspieler, die radikalen Islamisten. Bei der Frage des Islams in Deutschland und auch bei der Bewertung von Nah- und Mittelostentwicklungen in deutschen Medien ist das Bild allerdings diverser. Neben konservativen Islamvertretern, deutschen Islamorganisationen und fundamentalen Islamkritikern, wie der Holländerin Hirsli Ali, kommen auch viele andere Stimmen zu Wort. Vor allen Dingen beim Thema Islam in Deutschland haben es die deutschen Medien also durchaus geschafft, innerhalb der nach wie vor sehr beschränkten Gewalt- und Repressionsagenda relativ viel Akteure ins Boot zu holen.
Dies entspricht einer relativ normalen Gesellschaftsentwicklung, die nach mehreren Generationen der Einwanderung und durch die Diversifizierung akademischer Ausbildungen partikulare Öffentlichkeiten erzeugt, die den Medien als Gesprächspartner dienen. Allerdings sind auch diese häufig tatsächlich sehr aufgeklärten Öffentlichkeitsakteure vielfach gezwungen, sich dem einseitigen Gewalt- und Repressionsinteresse der Medien thematisch zu beugen. Die Skandalisierung des Islambildes erfolgt also eher durch die Art der Themensetzung als durch die Gesetze des Polit-Talks oder durch falsche Experten. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich hier aus meiner Sicht in den letzten Jahrzehnten diversifiziert und entwickelt. Dies schließt nicht aus, dass in Einzelfällen ein Hang der Medien besteht, radikale Positionen, zum Beispiel radikale Islamprediger oder auch Islamkritiker zu bevorzugen, um künstlich Kontroversen zu erzeugen, die einen Kulturkampf suggerieren, der möglicherweise die Alltagsrealität gar nicht adäquat widerspiegelt. Deutsche Massenmedien sollten sich in jedem Fall bemühen, ihre Informationsquellen zu erweitern. Der deutsche Journalismus ist, was den Islam betrifft, in weiten Teilen noch immer ein „Abschreibejournalismus“. Journalisten schreiben von Nachrichtenagenturen oder voneinander ab. Von den Reportagen und Berichten einer durchaus begrenzten Anzahl von Auslandkorrespondenten abgesehen, verfügt der deutsche Journalismus über viel zu wenig authentische Quellen in der islamischen Welt, die er neben dem üblichen Material westlicher Nachrichtenagenturen in die tägliche Arbeit einbringt. Ohne adäquate Quellen und Gesprächspartner aber führen wir kulturelle Selbstgespräche und sind mitverantwortlich für das Entstehen von „parallelen Öffentlichkeiten“. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt im deutschen Journalismus viele gute Artikel und einzelne Radio- und Fernsehsendungen. Auch viele Kritiker des Feindbildes Islam kommen zu Wort. Aber an der thematischen Grundstruktur und an der nachhaltigen Ausrichtung der Medienbeachtung auf den Gewaltkomplex hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wenig geändert. Das Islambild deutscher Medien ähnelt heute einer Art „aufgeklärter Islamophobie“. So lange aber die Menschen tagtäglich mit einem Negativbild des Islams konfrontiert werden, helfen Appelle an Respekt und Toleranz wenig, weil die Agenda des islamophoben Denkens alles überwiegt. Man sollte die Wirkung von Massenmedien nicht überschätzen, sie prägen eben nicht die Identität des Menschen, aber sie prägen im hohem Maße das Bild, das sich ein Mensch von einer Fremdgruppe macht, so dass von einer Ausbalancierung des Medienbildes sicher positive Impulse für den sozialen Frieden zu erwarten wären.

Gemeinschaft

von Franz Kafka

Wir sind fünf Freunde, wir sind einmal hintereinander aus einem Haus gekommen, zuerst kam der eine und stellte sich neben das Tor, dann kam oder vielmehr glitt so leicht, wie ein Quecksilberkügelchen gleitet, der zweite aus dem Tor und stellte sich unweit vom ersten auf, dann der dritte, dann der vierte, dann der fünfte. Schließlich standen wir alle in einer Reihe. Die Leute wurden auf uns aufmerksam, zeigten auf uns und sagten: Die fünf sind jetzt aus diesem Haus gekommen. Seitdem leben wir zusammen, es wäre ein friedliches Leben, wenn sich nicht immerfort ein sechster einmischen würde. Er tut uns nichts, aber er ist uns lästig, das ist genug getan; warum drängt er sich ein, wo man ihn nicht haben will. Wir kennen ihn nicht und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen. Wir fünf haben zwar früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet. Außerdem sind wir fünf, und wir wollen nicht sechs sein. Und was soll überhaupt dieses fortwährende Beisammensein für einen Sinn haben, auch bei uns fünf hat es keinen Sinn, aber nun sind wir schon beisammen und bleiben es, aber eine neue Vereinigung wollen wir nicht, eben auf Grund unserer Erfahrungen. Wie soll man aber das alles dem sechsten beibringen, lange Erklärungen würden schon fast eine Aufnahme in unsern Kreis bedeuten, wir erklären lieber nichts und nehmen ihn nicht auf. Mag er noch so sehr die Lippen aufwerfen, wir stoßen ihn mit dem Ellbogen weg, aber mögen wir ihn noch so sehr wegstoßen, er kommt wieder.

Aus dem Nachlass/Kleine Erzählungen (1920)