13. Jahrgang | Nummer 4 | 1. März 2010

BEMERKUNGEN

Simulierter Humor

In einer Großküche auf dem Lande. Die Gäste sind eingetrudelt, die Uhrzeit zum Verzehr der Speisen steht fest, ich verteile gerade Tiefkühlschnitzel auf Bleche, alles muß schnell gehen. Hektik, die mit humoristischen Einlagen überspielt wird.

Küchenchefin Eins zu Küchenchefin Zwei: “Morgen müssen wir dran denken, die Wäsche aufzuhängen.”

Küchenchefin Zwei gibt diese Information an die Aushilfskraft weiter, die sie mir überreicht. Ich quittiere mit einem Nicken, da die Hierarchie einmal abgelaufen ist und das letzte, also ausführende Glied, benachrichtigt ist.

“Ooch, Mann, jetzt müssen Sie an mich weitergeben“, fährt mich Küchenchefin Eins vielsagend lächelnd an.

Aha.

Also weiter Schnitzel verteilen und alles in den Offen.

Küchenchefin Eins zur Aushilfskraft, die zu Küchenchefin Zwei und weiter zu mir: “So, jetzt wird’s entspannter.”

Ich schweige..

“Ooch, Mann, Sie können sich unserem Humor ruhig mal anpassen!”

Paul

Makro- und Mikrokosmos

1975 begann eine neue Ära bei Carl Zeiss in Jena. Wolfgang Biermann (1927-2001) trat sein Amt als Generaldirektor an. Ihm eilte der Ruf voraus, so Klaus Mütze, „der härteste Kombinatsleiter in der DDR“ zu sein. „Sein Führungsstil pendelte zwischen autoritär und patriarchalisch.“ „Er war der Oberkommandierende, und niemand durfte seine Befehle in Frage stellen“, so die einstige Persönliche Referentin des „sozialistischen Managers“, der sich als „General“ anreden ließ und das Unternehmen auch quasi militärisch führte. Aus einem einfachen Grund: Carl Zeiss Jena war ein, wenn nicht gar das Aushängeschild der DDR-Wirtschaft, weil das Kombinat einen großen Teil seiner optischen Geräte in das westliche Ausland exportierte. Professor Dr. Klaus Mütze, ehemaliger Stellvertreter Biermanns, beschreibt auf 900 Seiten die Geschichte von Zeiss sowie seiner über fast die gesamte DDR verteilten Betriebsteile und stellt die vielfältige Produktpalette für die Jahre von 1946 bis 1996 vor. Man erinnert sich auch als technischer Laie noch an die Multispektralkamera von 1976, die im Rahmen des Sojus-Programms Aufnahmen von der Erdoberfläche lieferte, und an den Ein-Megabit-Chip, der 1988 mit viel Tamtam Erich Honecker übergeben wurde. Das Kerngeschäft von Carl Zeiss bildeten optische Geräte, die Forschern in aller Welt Mikro- und Makrokosmos öffneten: Mikroskope und Teleskope. Ingenieurtechnisch unerreicht waren und sind Projektionsanlagen für Planetarien, die Zeiss auf alle Kontinente lieferte. Bei Welt- und Europameisterschaften in der Leichtathletik sah man mit schöner Regelmäßigkeit die Weiten- und Geschwindigkeitsmeßgeräte aus dem Hause Zeiss. Auch bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, die u.a. von der UdSSR und der DDR boykottiert wurden, waren sie im Einsatz. Wenig bekannt ist, daß man auch optisches Gerät für die Rüstung des Warschauer Pakts herstellte. So zum Beispiel Zielsuchköpfe für Luft-Luft-Raketen sowjetischer Bauart und Laserfeuerleitsysteme für den Panzer T-72. Die detailreiche Studie, die jedes optische Gerät bis in den kleinsten Parameter vorgestellt, ist nicht geeignet, um sie von Anfang bis Ende zu lesen. Aber der an Technikgeschichte Interessierte wird sie oft stichwortartig konsultieren.

Kai Agthe

Klaus Mütze: Die Macht der Optik. Industriegeschichte Jenas 1846-1996. Band II (1946-1996), quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2009, 909 Seiten, 29,90 Euro

Eine Zerfreundung

Der Eröffnungsfilm der 60. Berlinale kam aus China und trägt den Titel „Tuan Yuan“. Auf Deutsch heißt das „Getrennt Zusammen“. Der Film beschreibt die Unmöglichkeit einer Wiedervereinigung von jahrzehntelang Getrenntem im Großen wie im Kleinen.

Viele Freunde des Malers Ronald Paris waren irritiert, als sie vernahmen, daß dieser große Künstler und von ihnen als aufrechter Mensch gedachte das Porträt des Liedermachers Wolf Biermann für die Ehrenbürgergalerie des Berliner Abgeordnetenhauses hergestellt habe. Am 10. Februar 2010 war nun die feierliche Enthüllung. Hauptsächlich enthüllte sich Biermann mit einer stark von verbalem Weihrauch geschwängerten Rede auf feierliche Weise selbst. In dieser verkündete er auch das Ende seiner jahrzehntelangen „Zerfreundung“, wie er es ausdrückte, mit dem Maler Ronald Paris. Beide hatten sich wohl im Zusammenhang mit den Prager Geschehnissen des Jahres 1968 heillos zerstritten.

Der nun neue große Friede hielt allerdings nicht lange an. Am Rande eines von den Grünen und der CDU nach der Bildenthüllung ausgerichteten festlichen Pizza-Essens gerieten ausgerechnet die Gattinnen der beiden Künstler aneinander. Ergebnis: Nun sind sie allesamt wieder „zerfreundet“.

Die Klugheit der Frauen brachte es an den Tag: Was für China und die Chinesen gilt, gilt offenbar auch für Deutschland und die Deutschen.

Günter Hayn

Verfeindete Großfamilien

Vor rund 25 Jahren gründete der Schauspieler und Regisseur Joachim Stargard in der Berliner Karl-Marx-Allee seine Theatergruppe „Reißverschluß“. Sein Ziel war es, den Beweis anzutreten, daß im Ergebnis bei sorgfältiger Probenarbeit eine Inszenierung stehen konnte, in der kein Unterschied zwischen Laien und Profis zu bemerken wäre. Er arbeitet seither – seit den achtziger Jahren von Weltbühne und Blättchen kritisch-freundlich begleitet – vorrangig mit jungen Leuten. Nicht wenige von ihnen haben ihren Weg bei Bühne, Film und Fernsehen inzwischen erfolgreich beschritten. Der größte Erfolg von „Reißverschluß“ war eine Inszenierung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“, die in verschiedenen Besetzungen zwischen 1991 und 2004 120 Aufführungen nicht nur in der Heimat sondern auch in Liverpool und Barcelona erlebte.

An das Thema knüpft Stargard, der inzwischen eine Vorliebe für das elisabethanische Theater pflegt, mit seiner Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ an, deren Liebe aufgrund der Familienbande so unglücklich endet. Das noch immer häufig inszenierte Stück ist so anspielungsreich, daß stets neue Interpretationen verblüffen. In der modernen „Reißverschluß“-Fassung fühlt man sich trotz aller Autorentreue an die Auseinandersetzungen krimineller Großfamilien im multikulturellen Berlin von heute erinnert. Dazu kommen jugendliches Ungestüm und Lust an gewalttätigen Auseinandersetzungen, die gegen ehrliches (allerdings hier eher behauptetes) Gefühl gesetzt wird. Viele der jungen Darsteller, darunter Lisa Weber und Oscar Knapps in den Titelrollen, dürften eigene Erfahrungen in die Erarbeitung des Stückes eingebracht haben. Stargard betont aber auch die komödiantischen Aspekte des Stückes, die bei Alexander Riemann und Arvid Hofmann als Mercutio und Benvolio und Katja Höppner als Amme besonders gut aufgehoben sind. Mit dieser Inszenierung, die am Theaterforum Kreuzberg und im Frankfurter Gallus-Theater zu sehen war, hat „Reißverschluß“ sich und dem Publikum ein anregendes Geschenk zum 25. bereitet.

Frank Burkhard

Da es so ist, wie es scheint …

Der Glaube, liest man, sei auf dem Vormarsch. Und wenn ich mir die diversen Glaubensbekenntnisse so anschaue, glaube ich das auch.

So glauben viele, der Gott des Sports habe es so eingerichtet, daß alle zwei Jahre jenseits eines Leistungsmaximums der menschlichen Physis wunderbarerweise bei Radlern und anderen sauberen Profi-Spitzensportlern ein qualitativer Evolutions-Sprung in neue Rekordhöhen statt hat.

Andere wiederum glauben, daß die Sonne aufgeht, weil der Hahn kräht. Anhänger dieser Glaubensrichtung findet man vorwiegend in den Kreisen der Geisteswissenschaftler.

Und man glaubt in interessierten Kreisen auch gerne daran, daß der Neoliberalismus die Quadratur des Zirkels endlich geschafft hat, per Synergie die Antagonismen der Tarifgegner in Tarifpartner umzuschmelzen.

Umfragen zufolge glauben erstaunlich viele Amerikaner nach wie vor: daß ihr Land von Gott auserwählt wurde (und nicht etwa Israel!) und daß es im Irak tatsächlich Massenvernichtungswaffen gegeben hat, und Saddam enge Verbindungen zu al-Qaida hatte, und Afghanistan mit Krieg auf den Weg des Heils geführt werden kann, und Obama sein Prophet ist.

Viele Deutsche glauben, man könne vom Toilettenzustand des Bundestags auf die Sauberkeit seiner Benutzer schließen. Und daß mehr Sex das Leben verlängert. Und sobald die deutschen Kids nicht mehr an den Weihnachtsmann und Benjamin Blümchen glauben, werden sie vom Rap ins wirkliche Leben eingewiesen: „ … mit dem unerschütterlichen Glauben an sich selbst, hat jeder die Chance, etwas aus sich zu machen …“ (Bushido)

Japaner glauben, daß sie als nationaler Haufen allem und jedem ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sind. Und daß Jesus nicht am Kreuz gestorben, sondern sein Grab in Shingo (Japan) zu besichtigen ist.

Da also von West nach Ost allüberall der Appell an die niedersten Instinkte des sittlichen Weltbilds weltweit so erfolgreich ist, lasse ich mir niederträchtige Angriffe auf mein – so weit wie möglich – moralfreies Denken notgedrungen gefallen, und zähneknirschend die Stiefel der Missionare auf meiner Seele herumlatschen.

Vielleicht sollte denen aber doch einer mal sagen, daß trotz seines weibischen Äußeren (schicker Hut, geschlitzte Kleider…) der Papst erwiesenermaßen keine Frau ist.

Christian Klotz