Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Im Karussell

von Heinz W. Konrad

Irgendwann hatten die Politiker die Nase voll. Ewig beschimpft als Nullen, Pfeifen, Mafiosi, Demagogen, Lügner, Faulenzer, Absahner et cetera schmiß einer nach dem anderen den Bettel hin. Erst traten die MdB’s ab, dann gingen die MdL’s – beide in der Regel in die Wirtschaft –, hernach die Kommunalpolitiker – mehrheitlich zum Arbeitsamt. Zartbesaitete gingen sogar in sich. Auch die Ehrenamtlichen in den kleinen Gemeinden, auf die sich der Unmut des Volkes nun ersatzhalber konzentrierte, sahen nicht länger ein, die Watschenmänner der Nation abzugeben und warfen das Handtuch.
»Endlich!«, jubelte das Volk – und keineswegs nur die bekennenden Anarchisten – vor den leergefegten Parlamenten und Regierungssitzen, »endlich sind wir ›die da oben‹ los!«. Brüder- und schwesterlich lagen sich wildfremde Menschen gerührt in den Armen: »Das Ende der Fremdbestimmung ist da. Nie wieder regiert werden! Keine Macht für niemanden« Waaaaahhhnsinn!« Die Konservativen erklärten die katholische Kirche zur endgültig alleinigen Autorität auf Erden, die Liberalen favorisierten diesbezüglich die mittelständische Wirtschaft. Geschulte Marxisten wiederum sprachen triumphierend vom nunmehr vollzogenen Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit und beriefen auf der Stelle ein Kolloquium zu diesem Thema ein, wobei sie diesmal demonstrativ auf die gewohnte Wahl eines Präsidiums und auf eine Tagesordnung verzichteten.
Nun war es aber keineswegs so, daß nichts übriggeblieben wäre, das geregelt hätte werden müssen. Da man nach wie vor gemeinschaftlich lebte, ging es nicht ab, zumindest all das zu organisieren, was die öffentliche Notdurft so erforderte. Sich darum zu kümmern und auch damit zu befassen, wie so etwas funktioniert, erwies sich indes als entschieden mühevoll, zumal so ziemlich ein jeder bezüglich des Was und Wie andere, dafür aber ultimativ gültige Vorstellungen hatte. Erst wich die Beglückung einer spürbaren Unsicherheit, dann dem kompletten Chaos.
Als gar nichts mehr ging, hielt schließlich Nachdenklichkeit Einkehr. Niemand mehr war da, in dessen Wohltaten Glanz man sich hätte mitsonnen können. Und schon gar niemand, dem man die Schuld an allem Ungemach zuweisen konnte, ohne das es im Leben halt nie und nimmer abgeht und dessen Opfer zu sein ein denn doch allzu unverzichtbarer Lebensgenuß ist.
Ein neues Heil mußte also her und natürlich auch ein dazu passender Heiland.. Immerhin, Parteien gab es ja noch und solche Mitglieder in ihnen auch, die neuerlich Hoffnung schöpften auf die Beglückbarkeit der Menschheit durch ihr aufopferungsvolles Streben. Ganz basisdemokratisch natürlich bestimmten die Leute also erst den einen und dann den anderen unter ihnen, auf daß er sie wieder führen möge, wie dies sich doch als sehr viel kommoder erwiesen hatte und genau genommen sooo schlimm vorher auch nicht gewesen war.
Über kurz oder lang hatte das Land wieder seine Parlamente und die dazugehörigen Abgeordneten samt Büros, Diäten und Aufsichtsratsposten und natürlich auch deren exekutiv beamteten Protagonisten. Und alle warens zufrieden mit jenen, deren Arbeit ja schließlich ihren Gemeinwillen verkörperte, lobten sie, verziehen das eine oder andere Ungemach und gaben ihnen ihr Vertrauen, mal mehr diesen und mal mehr jenen.
Bis dann die Glocke ertönte, und das Karussell eine neue Runde zu drehen begann …